
© A. Klaer
Von Günter Schenke: „Jahrhunderttag“ für Potsdam
Vier neu gegossene Bronzeglocken für die Nikolaikirche erstmals auf Altem Markt angeschlagen
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Innenstadt - Vier mit Blumen geschmückte Glocken für die Nikolaikirche auf zwei Lastwagen waren am Samstag die Stars einer wohl einmaligen Prozession vom Zentrum-Ost bis zum Alten Markt. Punkt 13 Uhr startet der Umzug in der Lotte-Pulewka-Straße mit Polizeieskorte und Blaulicht. „Der Start hier soll die Fusion unserer Gemeinde mit St. Nikolai im vorigen Jahr symbolisieren“, erklärt Barbara Hoppe aus dem Zentrum-Ost. Nur 30 der 436 Gemeindemitglieder im Zentrum-Ost haben sich jedoch der von den Pfarrern Susanne Weichenhan und Matthias Mieke angeführten Prozession angeschlossen. Die meisten warten vor der Nikolaikirche.
Das Marschtempo ist hoch. „Ich bin alter Infanterist“, bemerkt Ex-Oberstleutnant Max Klaar aus Iserlohn, der rüstig mitschreitet. Klaar ist Chef der „Stiftung Preußisches Kulturerbe“, vormals Tradititionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel (TPG). Der „Soldat“, wie er sich gern nennt, hat maßgeblichen Anteil an dem Schauspiel, denn seine Stiftung hat 145 000 Euro für die Glocken gespendet und beteiligt sich zudem mit zehn Prozent an der Sanierung von St. Nikolai.
Am Standort der Garnisonkirche in der Breiten Straße gibt es einen ersten Halt. Klaar erinnert an das Glockenspiel auf der benachbarten Plantage, das die TPG vor 19 Jahren im Einvernehmen mit der Stadt aufgestellt hat. Klaar hat sich jedoch vom Wiederaufbau der Garnisonkirche verabschiedet, weil sie als Versöhnungszentrum dienen soll.
Um 13.50 Uhr kommt der Glockenzug an der katholischen Kirche St. Peter und Paul an. Mehrere hundert Menschen warten schon. Bei der Ankunft setzt das mächtige Kirchengeläut ein. „Das haben wir als Begrüßung so vereinbart“, sagt Propst Klaus-Günter Müller. „Was für eine Freude!“ Weiter geht es am Holländischen Viertel vorbei, dann um die Französische Kirche herum. Hier kann sich der helle Klang des Carillon auf dem Lastwagen gleich hinter der Polizeieskorte wieder durchsetzen. Olaf Sandkuhl sitzt an der Tastatur im fahrbaren Glockenstübchen und spielt eine Melodie von Händel. „Das Carillon ist das einzige in Deutschland“, erzählt der Musikpädagoge aus Rostock. Das aus 35 Glocken bestehende Musikinstrument mit seinem 265 Kilogramm schweren tiefen C habe er in Holland gekauft. Er freue sich unbändig, damit den Potsdamer Umzug anzuführen, erzählt Sandkuhl.
Auf dem Alten Markt, wo einige hundert Menschen auf die Ankunft des Glockenquartetts gewartet hatten, steigt die Spannung auf den Höhepunkt, als Gemeindechef Joachim Uhlig ankündigt: „Gleich wird zum ersten Mal die größte unserer Glocken, die Dankesglocke, erklingen.“ Mit 1700 Kilogramm ist es die schwerste und erzeugt den tiefsten Ton. Ein Autokran hebt sie einige Zentimeter hoch und Gemeindemitglied Günther Abraham schlägt mit einem Vorschlaghammer dreimal gefühlvoll gegen ihren Rand. Die in der Nähe stehenden Zuhörer spüren die große Kraft des Schalls, dessen tiefer Nachhall gleichsam über den Platz rollt. Die Prozedur wird mit der 1100 Kilogramm schweren zweiten und der 760 Kilogramm wiegenden dritten Glocke wiederholt. Die mit 590 Kilogramm kleinste kündigt Pfarrerin Weichenhan mit den Worten an: „Sie lobt Gott in den höchsten Tönen.“ Europas einzige Glockengießmeisterin Cornelia Mark-Maas aus der Eifel überwacht besorgt die Hammerschläge. „Die Glockengießerin wollte eigentlich nicht, dass wir dagegen schlagen“, sagt Uhlig. Nach einem Konzert von Bläserchor und Bundespolizeiorchester treten Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und Klaar ans Mikrofon. Jakobs spricht von einem „Jahrhunderttag“ für die Stadt. Klaar erinnert indirekt an den Nazi-Befehl, Kirchenglocken für die Kriegsproduktion abzugeben: „Ich sage Ihnen, dass es für einen Soldaten nichts Schöneres gibt als dass er einer Kirche die Glocken wieder zurückgeben kann, die sie einst abgeben musste“. Die Stiftung Preußisches Kulturerbe werde ihr Sponsoring für St. Nikolai weiter fortsetzen. „Die nächsten 100 000 Euro kriegen Sie im nächsten Jahr“, verspricht er der Pfarrerin.
Günter Schenke
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