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Zahnärztin Alina Kusinska kam mit ihrer Katze Simon nach Potsdam.

© Andreas Klaer

Geflüchtete aus der Ukraine in Potsdam: „Jeden Tag kam der Krieg näher“

Es fehlt an Obdach für Geflüchtete. Unternehmer Ole Bemmannstellte kurzerhand seine Villa zur Verfügung. Dort hat jetzt auch Alina Kusinska Unterkunft gefunden - samt Kater. 

Potsdam - Es war abzusehen: Die Massenflucht von Ukrainer:innen vor dem Krieg hat deutsche Kommunen an die Grenze ihrer Aufnahmekapazitäten gebracht – in Potsdam, Berlin und sogar in der Zentralen Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt. Ungebrochen scheint aber die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung zu sein. Etliche Potsdamer haben in ihren Häusern und Wohnungen kostenlose Unterkünfte für Geflüchtete bereitgestellt. 

Allein in die 500 Quadratmeter große Villa von Ole Bemmann, Gründer und Chef des Huckleberrys-Floßverleihs, sind neun Frauen, fünf Kinder und ein Kater aus der Ukraine eingezogen – ohne Zeitbegrenzung. „Jetzt allerdings sind auch wir am Ende unserer Möglichkeiten. Mehr Geflüchtete können wir nicht unterbringen“, sagt er. 

Huckleberrys-Gründer Ole Bemmann.
Huckleberrys-Gründer Ole Bemmann.

© Andreas Klaer

In der weißen Villa in der Straße Am Neuen Garten vis-á-vis vom Heiligen See waren am Donnerstag Menschen anzutreffen, die ebenso froh waren, dem Krieg in ihrer Heimat entkommen zu sein, wie dankbar für die besondere Form von Potsdamer Willkommenskultur

Große Dankbarkeit

„Es war unglaublich“, sagt die 30-jährige, ledige Zahnärztin Alina Kusinska, die mit ihrer 79 Jahre alten Großmutter Lydmyla Tschystiakova und ihrem zweieinhalbjährigen Kater Simon ein Appartement bezogen hat: „Erstmal dieses wunderschöne Gebäude. Dann waren die Betten für uns gemacht, im Badezimmer gab es Handtücher in Blau und Gelb, den Farben der Ukraine. Für meinen Kater stand Trocken- und Nassfutter bereit, ein Napf mit Wasser und ein Katzenklo.“ 

Bemmann, der mit seinem Freund Sebastian Frenkel, dem Chef der Werbeagentur Frenkelson und Initiator der Hilfsaktion „Potsdam hilft der Eifel“, monatelang Flutopfer im Ahrtal unterstützt hatte, wollte die Villa eigentlich vermieten, stornierte dann aber Besichtigungstermine, als der Bedarf an Unterkünften für Geflüchtete wuchs. „Wir haben die Möglichkeit, ihnen zu helfen und möchten ihnen in unserer Villa nach all dem Leid, das sie in ihrer Heimat erlebt haben, ein familiäres Zuhause bieten“, sagt er. 

Ole Bemmann hat die Firmen-Villa Am Neuen Garten für die Flüchtlinge eingerichtet.
Ole Bemmann hat die Firmen-Villa Am Neuen Garten für die Flüchtlinge eingerichtet.

© Andreas Klaer

Auch sein Helfer-Freund Frenkel und dessen Frau Lena, Chefin der Theaterklause, des Café Midi im Treffpunkt Freizeit und des Fabrikcafés an der Schiffbauergasse, nahmen eine Mutter mit zwei Kindern in ihrer Wohnung auf. In ihren Restaurants gewährt Lena Frenkel ihnen ein kostenloses Mittagessen. „Wenn aber wie am Donnerstag plötzlich 150 Geflüchtete vor dem Café Midi stehen, ist das allerdings nicht jeden Tag leistbar“, sagt Lena Frenkel. 

Alina Kusinska ist begeistert von Potsdam

Die Zahnärztin Kusinska lebte, bis sie die Ukraine vor fünf Tagen verließ, in der vor dem Krieg 750 000 Einwohner zählenden Stadt Saporischschja im Donbass, vor den Toren des jüngst unter Beschuss geratenen größten europäischen Atomkraftwerks. „Ich habe jeden Morgen die Nachrichten gehört, habe jeden Morgen geweint, weil der Krieg jeden Tag näher kam“, sagt sie. 

Die Villa bietet den Menschen viel Platz.
Die Villa bietet den Menschen viel Platz.

© Andreas Klaer

Ihr sei klar gewesen: Wenn russische Soldaten in die Stadt kämen, würde sie keine Möglichkeit mehr haben, ihre Heimat zu verlassen. Bald möchte sie ihre 52-jährige Mutter sehen, die in zweiter Ehe mit einem Deutschen verheiratet ist und im fränkischen Aschaffenburg lebt: „Sie sind beide an Covid erkrankt und werden kommen, wenn sie gesund sind.“ 

Alina Kusinska ist von Potsdam begeistert. „Fast jeder Stein hat eine Geschichte zu erzählen“, sagt sie. Sollte sie eine Arbeit finden, „werde ich die Chance nutzen. Vielleicht könnte ich ja in einer Zahnarztpraxis als Assistentin arbeiten.“ 

Die Kinder können hier malen und spielen.
Die Kinder können hier malen und spielen.

© Andreas Klaer

Tagelange Odyssee

Die 39-jährige Nadiia Dubina ist nach tagelanger Odyssee noch sichtlich erschüttert. Sie kam mit ihren Töchtern, der fünfjährigen Veronika und der neunjährigen Varvara, mit Zügen von Odessa über Lwiw und mit einem Bus der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt in die Landeshauptstadt, bevor sie in der Villa landete. 

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Ihr Mann Roman, der Vater ihrer Kinder, ist zurückgeblieben. 2015 war der heute 39-Jährige in ihrem Leben aufgetaucht. Er arbeitete damals als Sicherheitsmann in Kiew, sie aber zog in ein kleines Dorf im Donbass, wo seine Familie ein Haus besaß. „Der Krieg war 100 Kilometer entfernt“, erzählt sie. Eine Freundin bot ihr an, ihr leerstehendes Haus in Odessa zu beziehen. Ihr Mann fand dort eine Zeitlang Arbeit, sie zogen in die Stadt. 

Nadiia Dubina und ihre Tochter Veronika (5) haben eine Odyssee hinter sich. 
Nadiia Dubina und ihre Tochter Veronika (5) haben eine Odyssee hinter sich. 

© Andreas Klaer

Als aber die Bomben fielen und ihr Mann wieder einen Job in der Hauptstadt hatte, übernachtete Nadiia mit ihren Töchtern nur noch im Keller, packte eines Tages ihre Sachen und machte sich auf den Weg. 

Bemmann hofft auf mehr Aufnahmewillige

Sie ist überwältigt von der Hilfsbereitschaft von Ole Bemmann, dessen Frau Andrea und Mitarbeiterinnen seines Unternehmens. „Sie haben es geschafft, dass meine ältere Tochter jetzt in den Awo-Kindergarten gehen kann“, sagt sie. Und dann der Morgen nach der Ankunft: Awo-Mitarbeiter hatten für jeden der Neuankömmlinge einen Koffer mit frischer Kleidung gepackt. 

Mit ihrem Mann telefoniert sie täglich. Ein Handy und eine Sim-Karte mit einem kostenlosen Tarif in die Ukraine haben ihr die Bemmanns übergeben. „Ich bete dafür, dass er überlebt“, sagt sie, „vielleicht können wir dann ein neues Leben in Deutschland aufbauen.“ Bemmann weiß, wie groß die Not der Flüchtlinge ist: „Es wäre wirklich toll, wenn noch mehr Potsdamer, auch Firmen, unserem Beispiel folgen würden.“

Carsten Holm

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