
© Manfred Thomas
Von Michael Meyer: Joggen mit dem Kinderwagen
Potsdams Geherin Melanie Seeger trainiert nach der Geburt ihrer Tochter Helena für ihr sportliches Comeback
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Birgit Fischer hat es im Kanurennsport geschafft, Kathrin Boron im Rudern, Sandra Köppen-Zuckschwerdt im Judo – nun will auch Melanie Seeger als Leichtathletin nach einer Pause vom Sport als junge Mutter wieder an alte Erfolge anknüpfen. Knapp sieben Monate nach der Geburt ihrer Tochter möchte sich die Geherin des SC Potsdam Mitte Januar bei den Landesmeisterschaften für die Deutschen Hallentitelkämpfe qualifizieren. Ihr großes Ziel aber sind die Europameisterschaften Ende Juli kommenden Jahres in Barcelona. „Dort will ich mein internationales Comeback erleben“, erklärt die 32-Jährige, die schon seit Monaten – weiter unter Regie ihres langjährigen Trainers Michael Klabuhn – wieder für dieses Vorhaben übt. Und die verkünden kann: „Meine Trainingswerte stimmen mich optimistisch dafür.“
Am 29. Juni wurden Melanie Seeger und ihr belgischer Lebenspartner Dries Vervecken – der aus Grobbendonk nahe Antwerpens stammt, im Juni 2008 nach Potsdam zog und derzeit als Ausbildungs- und Unterrichtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin an seiner Promotion arbeitet – Eltern einer kleinen Elena. „Es war gar nicht so einfach, einen Namen zu finden, der sowohl in Deutschland als auch in Belgien passt“, erklärt die Potsdamerin, die bereits ganz passabel Niederländisch spricht, „denn unsere Tochter soll zweisprachig aufwachsen, und ich will dann mit ihr mithalten“. Helena heißt mit Familiennamen bereits Vervecken, „und ich warte auf einen Heiratsantrag“, verrät die Leichtathletin, die nach ihrem Mutterschaftsurlaub auch wieder als Grundschullehrerin in Töplitz arbeiten will.
Vier Wochen nach der Entbindung begann die Olympia-Fünfte von 2004 mit der Arbeit an ihrem sportlichen Comeback. „Als ich schwanger wurde, befand ich mich schon in der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften in Berlin, und bis zwei Wochen vor der Geburt habe ich noch trainiert“, erzählt die Geherin. „Vier Wochen danach bin ich erst ein paarmal mit dem Kinderwagen losmarschiert, und als ich dann in Grobbendonk meinen ersten Zehn-Minuten-Lauf machte, ging zunächst gar nichts.“ Nach einigen weiteren Wochen habe sie aber wieder in ihren Rhythmus gefunden „Und jetzt trainiere ich von Montag bis Sonntag jeden Tag. 20 Kilometer zu gehen fällt mir wieder nicht mehr schwer.“ Den Spagat zwischen Baby und Leistungssport bekäme sie gut in den Griff. „Ich stehe morgens um halb sieben auf und gehe trainieren. Wenn ich dann am Vormittag zurück bin, fährt Dries zur Arbeit, und nachmittags jogge ich oft noch mit Helena im Wagen. Im Buga-Park kann man das ganz gut. Krafttraining mache ich am Abend, wenn die kleine Maus schläft, im Fitnesscenter oder zu Hause.“
In ein mentales Loch sei sie im Sommer nicht gefallen, auch nicht während der Leichtathletik-WM als Zuschauerin an der Berliner Geher-Strecke. „Im Gegenteil. Nach zwanzig Jahren Hochleistungssport praktisch ohne Pause und viel Druck, den ich mir nach Misserfolgen auch selbst gemacht hatte, fühlte ich mich regelrecht ausgebrannt. Nach den Olympischen Spielen in Peking ging nichts mehr“, schildert Melanie Seeger ihre damalige Seelenlage. „Ein Kind war nicht unbedingt geplant, aber die Pause hat meinem Kopf sehr gut getan und ich bin jetzt entspannter. Ich mache meinen Sport jetzt wieder mehr für mich, meine Familie und meinen Trainer als für andere und will lockerer als früher bleiben. So kann man, denke ich, mehr erreichen.“
Seit ihrer Arbeit am Comeback unterliegt Melanie Seeger wieder dem Doping- Kontrollsystem. „Ich habe mich mit Trainingsbeginn gleich angemeldet und kann nun wieder jederzeit getestet werden“, erzählt sie. Und wenn sie verreist – wie demnächst über Weihnachten zu ihren Eltern ins heimatliche Brandenburg (Havel) und zu DriesVerveckens Familie nach Grobbendonk –, muss sie dies ordnungsgemäß melden. 2008 hatte sie nach ihrem 23. Platz in Peking öffentlich ihren Dopingverdacht artikuliert. „Ich habe hier das unfairste Rennen meiner Karriere erlebt“, erklärte sie damals, und: „Die Spitze geht Zeiten, da können wir trainieren, so viel wir wollen.“ Heute sagt sie: „Dazu stehe ich immer noch.“ Dass die Griechin Athanasia Tsoumeleka, 2004 Olympiasiegerin und 2008 Olympia-Neunte, im Nachhinein des Dopings überführt wurde, wodurch Melanie Seeger auf Rang 22 vorrückte, habe ihren Verdacht bestätigt. „Trotzdem glaube ich noch an das Gute im Menschen“, sagt sie. „Sonst würde ich nicht so für mein Comeback arbeiten.“
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