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Landeshauptstadt: Jüdischer Autor freigesprochen

Amtsgericht sieht Recht auf Notwehr nach Angriff auf HIV-positives Opfer am Potsdamer Hauptbahnhof

Darf sich ein älterer sehbehinderter Mann gegen einen aggressiven Angreifer mit einem Biss in dessen Zeigefinger wehren, auch wenn er weiß, dass er HIV-positiv ist? Ja, urteilte gestern das Potsdamer Amtsgericht und sprach damit den in Berlin lebenden jüdischen Schriftsteller Dennis Milholland vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung frei, da er aus Notwehr gehandelt habe. In dem Verfahren ging es um einen Vorfall am 27. Mai 2005 am Potsdamer Hauptbahnhof. Die Staatsanwaltschaft hatte dem 55-jährigen Dennis Milholland vorgeworfen, den 24-jährigen Potsdamer Oliver K. nach einem Handgemenge absichtlich in den linken Zeigefinger gebissen zu haben, um ihn mit dem HI-Virus zu infizieren. Milholland leidet seit Jahren an dem Virus, dass die Immunschwächekrankheit Aids auslöst.

Die Anklage hatte viel Kritik ausgelöst: So warf die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Brandenburg (Katte) e.V. der Potsdamer Staatsanwaltschaft vor, mit ihrer Anklage das Opfer eines rassistisch motivierten Übergriffs noch einmal zu bestrafen (PNN berichteten). Die Anklage war zudem auf Protest gestoßen, weil gegen Oliver K. in derselben Sache bereits ein Urteil wegen Körperverletzung vorliegt.

Danach sah es das Potsdamer Amtsgericht schon im vergangenen Jahr als erwiesen an, dass eben nicht Milholland, sondern Oliver K. die Auseinandersetzung provoziert habe und der eigentliche Angreifer war. Danach soll der gestern als Zeuge geladene K. am Tatabend Milholland und zwei seiner Freunde, die sich auf dem Heimweg von Potsdam nach Berlin befanden, zunächst in der Straßenbahn und dann am Hauptbahnhof rassistisch beleidigt und angerempelt haben. Zum Beispiel soll er Milholland mit den Worten gedroht haben: „Ich fick dir das Gehirn raus, dass es spritzt.“ Milholland und seine beiden Freunde seien dann in die S-Bahn gestiegen „im letzten Abteil“, wie sich Milholland gestern vor Gericht erinnerte. Rund eine Minute später sei K. ebenso im Abteil erschienen und habe nach kurzem Wortgefecht einen der drei wesentlich älteren Männer angegriffen. Milholland habe versucht einzugreifen und sei so zum Hauptziel geworden, so dass Gericht auch gestern in seinem Urteil. Der Sehbehinderte habe Schläge und Tritte erhalten. Unklar blieb gestern allerdings, wie genau der Biss erfolgte – ob die Hand von Oliver K. eher zufällig ins Gesicht von Milholland gelangt sei oder K. ihm mit dem Daumen gegen den Kehlkopf drückte und den Zeigefinger im Mund des Angriffenen einsetzte, um sein Opfer mit stärker Kraft zu malträtieren. „Es ist unerheblich, ob der Biss reflexhaft oder mit Absicht erfolgte, weil die Situation eindeutig als Notwehr zu werten ist“, sagte StaatsanwaltJürgen Flügel, der nach nur zweistündiger Verhandlung wie die Verteidigung auf Freispruch für Milholland plädierte.

Flügel nannte nach dem Prozess behördeninterne Gründe, warum es überhaupt zu der Anklage gekommen sei. In der Potsdamer Staatsanwaltschaft seien zwei Abteilungen mit der Gewalttat betraut gewesen: „Der Verlauf dieses Falls war sicher nicht wünschenswert.“ Der Verteidiger von Milholland, Rolf Jürgen Franke, sprach von einem „unsensiblen, aber formell korrekten“ Verhalten der Staatsanwaltschaft. Milholland selbst kritisierte, dass bei der Anklageerhebung der „schweren Körperverletzung“ nicht beachtet worden sei, dass durch einen Biss nur „theoretisch“ das HI-Virus übertragen werden könne. Nur drei solcher Fälle seien weltweit bekannt. Auch Oliver K. hat sich durch den Biss nicht angesteckt.

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