SERIE: Kaffeefahrt nach Thüringen Ist Babelsberg
Ralf Köhler ist Kaufmann in der fünften Generation: Der Laden wurde von seinen Ur-Ur-Großeltern eröffnet. Noch immer ist es ein Familienunternehmen – nur vorweihnachtliche Einkaufsfahrten sind vorbei
Stand:
Eis legte sich über die Straßen zwischen Potsdam und den Bezirken Karl-Marx- Stadt und Suhl. Doch es half nichts. Das Weihnachtsfest stand vor der Tür und die DDR-Handelsorganisation hatte nicht ausreichend Waren für alle Läden parat. Schon gar nicht für die wenigen privaten. Doch Familie Köhler, die Porzellan und Glas verkaufte, wollte ihren Kunden vor dem Fest etwas anbieten. „Also sind wir losgefahren“, erzählt Ralf Köhler. Der heute 40-Jährige lud damals Pralinen und ein paar Pfund Kaffee in den Wartburg Tourist der Familie, fuhr die einzelnen Porzellan-Hersteller im heutigen Thüringen ab und erhielt von jedem ein Stück liegen gebliebene Exportware. Was damals nicht gut genug für den Devisenhandel war, rissen ihm die Babelsberger einen Tag später aus der Hand. Komplett.
Heute sind die Regale des Ladens in der Karl-Liebknecht-Straße gut gefüllt. Das Sortiment ist größer und bunter als noch vor 20 Jahren. Jedoch verkauft sich nicht mehr alles. Die Kunden sind wählerischer und weniger. Trotz Zuzugs vieler Familien mit guten Einkommen. Für Ralf Köhler gibt es eine einfache Erklärung dafür: Geht er sonntags durch die Straßen, sieht er Familien beim Brunch sitzen. Die bräuchten keinen kompletten Sonntagsservices mehr, die gehen essen. Dennoch: Es scheinen goldene Zeiten im Vergleich zu so manch Vergangenheit: Überstanden hat der frühere Kolonialwarenladen die Kaiserzeit, Wirtschaftswunder, zwei Weltkriege und mehrere Währungsreformen. Denn das Geschäft Hermann Köhler existiert seit 1903 in Babelsberg. Gegründet von den Ur-Ur-Großeltern Ralf Köhlers. Und schon ein halbes Jahrhundert davor hat die Familie von Emma Emilie Marie Kurtze, so der Mädchenname der Frau von Hermann Köhler, in einem Laden auf dem Marktplatz in Mühlberg an der Elbe Kolonialwaren verkauft.
Das Geschäft in der Karl- Liebknecht-Straße ist noch immer in Besitz der Familie, während vor allem in der DDR-Zeit einer nach dem anderen aufgegeben habe. Seien es Samenverkäufer, Nähmaschinenhändler oder die Wäscherei. Auch neben Köhler wurde ein Haus nach dem anderen frei, es stand sogar zum Verkauf. Doch die Kaufleute griffen nicht zu. Was sollten sie auch verkaufen, das Sortiment zu Zeiten Erich Honeckers war beschränkt – sowohl quantitativ als auch qualitativ. Bis 1990. Während sich andere vom kleinen Unternehmen im Familienbesitz danach bis hin zum Global Player wie die Deutsche Glas GmbH entwickelt haben, bieten Kaufleute wie Ralf Köhler ihre Waren bereits in der fünften Generation an. Und es geht weiter, denn das Umfeld entwickle sich wieder: Sei es in der Karl-Liebknecht-Straße oder im Babelsberger Gewerbezentrum (siehe nebenstehenden Text). Der Stadtteil gilt mit seinem Einzelhandel und der Industrie nicht umsonst als Motor der Potsdamer Wirtschaft.
Inzwischen verkauft Ralf Köhler im gesamten Erdgeschoss. Das war nicht immer so. Wo Oma und Opa einst wohnten und kochten, stehen heute Haushaltswaren. Selbst DDR-Raritäten, die es nirgendwo anders mehr geben soll, wie den roten Gummipfropfen zum Verschließen von Saftflaschen. Stück für Stück hat er das Geschäft gemeinsam mit seiner Mutter erweitert, Bewährtes wie das Zwiebelmuster behalten und Neues ins Sortiment genommen. Dazu wurde das Haus Mitte der 1990er Jahre nach Originalvorbild saniert und später erweitert. Nun soll auch die erste Etage für Ausstellungsräume genutzt werden.
Wenn Ralf Köhler vor seinem Laden steht und über die Einkaufsmeile schaut, kann er den sich ankündigenden Wandel förmlich sehen. Gab es zwischen 1994 und 1996 einen regelrechten Boom auf der Straße, wurde der durch die Eröffnung des Stern-Centers unterbrochen. Seit zwei Jahren würden wieder viele kleine Läden öffnen und für die neue Vielfalt sorgen. Gebaut wird heute noch an jeder Ecke – sei es der Plattenbau gegenüber, an dessen Stelle einst das Haus von Hermann Köhler stand. Oder die Eckhäuser an der Schornsteinfegergasse und der Rudolf-Breitscheid-Straße.
Im Hause Köhler sind die anfänglichen Zweifel nach der Wende verflogen. Damals hätten sie sich gefragt: „Ein Topf für 80 D-Mark, ob wir den jemals verkaufen?“ Es hat geklappt. Die Kunden kamen weiter zu Hermann Köhler in den Fachhandel. Auch wenn die Zeiten hektischer seien. Nach Thüringen muss Ralf Köhler inzwischen nicht mehr fahren, um die Regale zu bestücken.
Folge 2:
im Aufschwung?
In unserer Serie „Wir in Babelsberg“ stellen wir typische Babelsberger vor, die in ihrem sympathischen Eigensinn den gesamten Stadtteil zwischen Tiefer See und Parforceheide charakterisieren. Zu lesen immer montags in den PNN.
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