Landeshauptstadt: Kampf gegen Cybermobbing
Schüler posten im Internet, um zu lästern und zu hetzen. Jetzt geht in Potsdam die erste Schule offensiv und öffentlich gegen Mobbing im Internet vor. Polizei und Medienwerkstatt bieten Hilfe an
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Hetze und Mobbing über Potsdamer Schüler über die Internetplattform „Isharegossip“ („Ich verbreite Tratsch“) haben in den vergangenen Tagen zugenommen: Viele Einträge auf der Seite mit anonymen Einträgen, auf der Mitschüler und Lehrer beleidigt und verunglimpft werden, sind erst in der zweiten Märzhälfte verfasst worden. Während es auch Schulen ohne Eintrag gibt, reagieren andere Einrichtungen wegen der aktuellen Debatte auf das Sozialverhalten mancher Schüler – so wird beispielsweise am heutigen Mittwoch am Babelsberger Filmgymnasium, dessen Schüler sehr fleißig und unappetitlich posten, ein Aktionstag gegen das Internetportal stattfinden. Unter dem Motto „Don’t share gossip“ sollen Unterschriften gesammelt werden und Betroffene zu Wort kommen (siehe Text unten). Die Schule wolle das nicht dulden, erklärte Schulpsychologe Jörg Kreuter. Er rät, die Schüler sollten Anzeige erstatten.
Die Potsdamer Polizei sah sich nicht in der Lage zu erklären, wie viele Strafanzeigen in Zusammenhang mit Cybermobbing und speziell der Internetseite „Isharegossip“ gestellt worden sind. „Wir haben ein anderes Computersystem als in Berlin“, sagte Polizeisprecher Mario Heinemann. Dies und der unscharfe, strafrechtlich nicht relevante Begriff des Mobbings würden eine statistische Auflistung erschweren. In Berlin scheint das weniger schwierig: Knapp 140 Strafanzeigen hat die Polizei zuletzt im Zusammenhang mit der Internetseite aufgenommen, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch am Montag in Berlin. Es gehe vor allem um Beleidigung, Bedrohung und Verleumdung, aber auch um die Androhung von Straftaten wie Amokläufen. Glietsch bezeichnete „Isharegossip“ als „reines Mobbingportal“. Bereits im November seien erste Anzeigen eingegangen, seit Februar ist es eine ganze Welle von Fällen. In den vergangenen Wochen hatte unter anderem der gewalttätige Übergriff auf einen 17-Jährigen Berliner dazu geführt, dass die Lästerseite von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde. Ermittelt wird nicht nur gegen den Betreiber der Seite, sondern auch gegen viele Schüler, die für bestimmte Postings verantwortlich sein sollen. Glietsch dämpfte gleichzeitig die Hoffnung, dass die Seite bald vom Netz genommen werde. „Dafür sehen wir derzeit keine technische Möglichkeit.“ Durch verschiedene Anonymisierungsdienste schaffe es der Betreiber vermutlich weiterhin unerkannt zu bleiben, hieß es von Ermittlern in Berlin.
Die Potsdamer Polizei kämpft seit drei Jahren im Sachgebiet Prävention gegen Mobbing im virtuellen Raum – etwa mit Veranstaltungen an Schulen. So verstärke Cybermobbing das reale Schulmobbing, sagte Heinemann – darüber müssten beispielsweise Eltern aufgeklärt werden. Ebenso müssten sich Erwachsene damit auseinandersetzen, dass konkret ihre Kinder zu Opfer werden könnten – aber auch zu Tätern. „Wir wollen dabei klarmachen, dass Mobbing kein Kavaliersdelikt ist“, sagte Heinemann. Schulen rät die Polizei, einen gemeinsamen Verhaltenskodex über den zwischenmenschlichen Umgang im Internet zu erarbeiten. „Wichtig ist, Vorfälle öffentlich zu machen und im besten Fall eine gemeinsame Vorgehensweise von Schülern, Eltern und Lehrern festzulegen.“
Für Themen wie Cybermobbing existiert in der Landeshauptstadt bereits eine Arbeitsgruppe „Gewalt und Medien“, in der Stellen wie das Jugendamt, die Polizei, Kinderschützer oder die Medienwerkstatt am Schlaatz sich gegenseitig austauschen. Grit Sujata von der Medienwerkstatt sagt, seit Monaten gebe es mehr Anfragen zum Thema Cybermobbing. In der Präventionsarbeit ihres Hauses würde beispielsweise ein Film über Cybermobbing gezeigt, der dann mit Schülern diskutiert werde. „Dabei geht es um ganz einfach Fragen wie: Warum hat ein Mobbing-Opfer an der und der Stelle niemand gesagt, dass es Hilfe braucht?“ Verschiedene Sichten auf ein Problem könnten bei der Sensibilisierung helfen, so Sujata. Betroffene sollten in jedem Fall Erwachsene einschalten.
Ein Grund für die Aufmerksamkeit: Die Verbreitung von Schmähungen im Internet sei für den Mobber viel effektiver, erklärte Sujata. So fände sich schnell eine größere Öffentlichkeit bei gleichzeitiger Anonymität. Gründe für Mobbing könnten schon kleine Streitereien sein. „Im Grunde kann es jeden Schüler treffen.“ Oft würden sich aber in einer Art Schneeballprinzip Mitläufer anschließen, sodass am Ende keiner mehr sagen könne, „wer eigentlich angefangen hat“.
In der Debatte um Cybermobbing dreht sich derzeit alles um die Frage, wie Opfer geschützt und Täter gestoppt werden können. Zu wenig würden dabei jedoch die sogenannten jugendlichen „Zuschauer“ der Gerüchte- und Hassattacken beachtet. „Dort sehen wir in Sachen Präventionsmaßnahmen jedoch ein großes Potenzial“, sagt Angela Ittel, Professorin im Fachgebiet Pädagogische Psychologie der TU Berlin. Es gebe zwei Arten von Zuschauern. Einmal diejenigen, die passiv die Geschehnisse belustigend fänden oder andere sogar zum Mobbing ermutigten. Andererseits gebe es Zuschauer, die nicht wüssten, wie sie mit den Geschehnissen umgehen sollten und sie deshalb an sich vorbeiziehen ließen.
Aufgrund des geringen Wissensstandes über die Motive der Zuschauer werden in einem laufenden Forschungsprojekt der TU Schüler zu ihren Erfahrungen und Einschätzungen von Cybermobbing befragt. Dabei sollen Leitlinien zur Förderung von Zivilcourage im Netz entwickelt werden. Laut Ittel müssten besonders Heranwachsende darin bestärkt werden, gegen Mobbingattacken vorzugehen, wenn sie davon erfahren. Gleichzeitig führe der Mut und die Entschlossenheit, gegen unfaires Verhalten vorzugehen, dazu, selbst nicht irgendwann zum Opfer zu werden. „Ein indirekter Präventionseffekt“, sagte Ittel.
Michael Retzlaff, Referatsleiter für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien, sieht die derzeit gehäuften Anfragen von Schulen und Elternvertretungen als Zeichen, dass das Problembewusstsein wachse. Jedoch sei das Thema längst ein Alltagsphänomen für viele Jugendliche, und die spezifische Ausprägung von „Isharegossip“ stelle nur eine neue Form dar. „Die Wandlung von der ,social community‘ zur ,Hassgruppe‘ führt zu dieser derzeit massiven sozialen Verunsicherung der Opfer, Wut und Ängsten in Schulen und Elternhäusern“, so Retzlaff.
Den Schulen empfiehlt Retzlaff jetzt, gezielt aufzuklären und das Personal weiterzubilden. „Sie sind gut beraten, die aktuellen Vorfälle aufzugreifen und zugleich zu intervenieren. Für den Unterricht sei es wichtig, dass sich die Inhalte von Medienbildung nicht nur in einem Fach wiederfänden. Lehrer müssten unterstützt und qualifiziert werden, damit sie verstünden, was im Internet passiere. Auch die juristischen Aspekte im Netz werden immer wichtiger für Lehrer. „Eine nachhaltige Maßnahme wäre es zudem, Medienbildung verbindlich in die regionale Lehrerfortbildung aufzunehmen.“ jab/ver/HK/HH/jra
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