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Talentiert. Vule ist eine Art Star der Potsdamer Breakdance-Szene, links zu sehen auf einem Bild von 2015, rechts auf dem Schoß seines Vaters Zoran. Doch bald wird die Familie womöglich abgeschoben.

© Andreas Klaer, breakLife PDM

Abschiebung aus Potsdam: Kämpfen für Vule

Eine Potsdamer Roma-Familie soll abgeschoben werden. Doch vor allem wegen des außergewöhnlichen Sohnes regt sich Widerstand.

Von Katharina Wiechers

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Potsdam - Vule lässt sich nach vorne fallen, stützt sich mit den Händen ab und wirft die Füße nach oben. Sekunden später steht er wieder auf den Beinen, schlackert mit den Armen und läuft – ohne sich von der Stelle zu bewegen. Vule – mit vollem Namen Vukašin Brkic – ist noch nicht mal in der Schule. Aber der zierliche Junge mit den großen, dunklen Augen ist schon so was wie der Star der Potsdamer Breakdance-Szene.

Der Fall der Roma-Familie gilt als Beispiel für die regide Abschiebepraxis in Brandenburg

Doch nicht nur deshalb haben Vule und seine Familie einige Bekanntheit an ihrem Wohnort Potsdam-West erlangt. Der Fall der Roma-Familie aus Serbien gilt auch als Beispiel für die rigide Abschiebepraxis des Brandenburger Innenministeriums. Doch der Reihe nach.

Vor rund drei Jahren verließen Vule und seine Eltern ihre Heimat Serbien. In der Stadt Smederevo, wo sie zuletzt gelebt hatten, fand Vater Zoran keine Arbeit – gebrandmarkt als Roma und wegen der Tatsache, dass er im Heim in Belgrad aufgewachsen ist. Sein Vater sei Trinker gewesen, von der Mutter keine Spur, erzählt der heute 36-Jährige. Ohne Arbeit konnte die Familie sich keine richtige Wohnung leisten, die letzte Behausung hatte nicht einmal Scheiben in den Fenstern. „Wir haben Holz davorgenagelt“, sagt Zoran. So entschieden die Brkics sich zur Flucht nach Deutschland. Über Dortmund, Burbach und Eisenhüttenstadt landeten sie im Juli 2014 schließlich in Potsdam. Seitdem haben sie eine Wohnung in der Haeckelstraße, wo die Stadt etwa 80 Flüchtlinge untergebracht hat. Vule kam in die Kita, Zoran besuchte einen Deutschkurs, fand eine Arbeit bei einer Babelsberger Baufirma und Ivana wurde bald wieder schwanger, heute ist der kleine Dušan 13 Monate alt.

Serbien ist nach deutschem Asylrecht ein sicheres Herkunftsland

Doch weil Serbien nach deutschem Asylrecht ein sogenanntes sicheres Herkunftsland ist, soll die Familie wieder abgeschoben werden. Sie kann keine politische Verfolgung nachweisen, zudem herrscht in Serbien kein Krieg. Die Diskriminierung als Roma reicht dem deutschen Staat als Asylgrund nicht aus. Tausende Familien vom Balkan wurden in den vergangenen Monaten deshalb aus Deutschland abgeschoben, auch aus Potsdam waren Familien darunter. Doch als es nach einer Schonfrist wegen des neugeborenen Babys bei den Brkics so weit sein sollte, regte sich in Potsdam Widerstand.

Vor allem den quirligen Vule hatten viele innerhalb kürzester Zeit ins Herz geschlossen. Das ältere Potsdamer Ehepaar aus demselben Haus lädt die Familie regelmäßig ein, macht mit ihnen Ausflüge in die Umgebung oder in ihren Kleingarten. Bei den Brkics zu Hause werden sie nur noch „Oma“ und „Opa“ genannt. Auch unter den anderen Nachbarn hat die Familie Freunde gefunden. Als das Baby kam, kümmerte sich einer von ihnen zum Beispiel ganz selbstverständlich um Vule, bis die Geburt überstanden war.

Vule spricht fast fehlerfrei, auch Zorans Deutsch ist schon recht gut

Auch in die Kita geht Vule gern, obwohl er mit seinen knapp sieben Jahren mittlerweile der Älteste ist. „Man hat uns gesagt, dass er noch ein bisschen braucht, bis er auf die Schule gehen kann“, sagt Zoran. Und wie um das Gegenteil zu beweisen, rasselt Vule alle Zungenbrecher hintereinander runter, die er gelernt hat. „Zwischen zwei Zweigen zwitschern zwei Schwalben“ zum Beispiel – ohne sich zu verhaspeln. Schreiben lernt er auch schon, der Name der Reporterin wird hochkonzentriert notiert – und zu jedem Buchstaben ein Name aus der Kita genannt. P wie Paula kommt leider nicht vor, dabei ist das seine „Liebe“ in der Kita, erzählt Vule stolz. Er spricht fast fehlerfrei, auch Zorans Deutsch ist schon recht gut. Für den Internationalen Bund, der Träger des Wohnungsverbunds in der Haeckelstraße ist, hat er sogar schon als Übersetzer ausgeholfen. Nur die 31-jährige Ivana tut sich noch etwas schwer mit der fremden Sprache.

Und dann ist da noch Vules Tanztalent. Beim Kiezfest „Plattenspieler“ im Sommer 2014 hatte er zum ersten Mal in seinem Leben eine Breakdance-Gruppe gesehen und war sofort gefesselt. Einer der Tänzer war damals Robert Segner, der auch Jugendlichen Breakdance-Training gibt. Kurz nach dem Fest habe er den damals fünfjährigen Vule mit Vater Zoran beim Supermarkt um die Ecke getroffen. „Er hat mich gesehen und sich sofort auf den Boden geworfen und Moves gemacht“, erinnert sich Segner. „Keine Ahnung, woher er das konnte. Aber das war einfach gut.“ Später zogen Segner und einige andere ein Breakdance-Training im Kinderclub „Einsteinkids“ in Potsdam-West auf, und Vule war von Anfang an dabei. Die Bewegungen der anderen nachzuahmen fällt ihm leicht, vor allem aber überrascht er die anderen immer wieder mit seinen eigenen Ideen für Figuren. „Vule ist eine absolute Bereicherung für unser Training“, sagt Segner.

Dass es ausgerechnet Tanzen sein muss, hat Vater Zoran anfangs gewundert. „Von mir aus hätte er auch Fußball spielen können“, sagt er lachend. „Aber anscheinend hat er Talent.“ Mittlerweile findet das Training im Club 18 am Stern statt, Zoran bringt ihn jede Woche hin. Auch zu Auftritten außerhalb Potsdams hat er den Sohn schon begleitet – nach Magdeburg und Braunschweig zum Beispiel.

Die Breakdance-Szene und das Stadtteilnetzwerk Potsdam-West haben gegen die drohende Abschiebung mobil gemacht

Die Breakdance-Szene war es auch, die dann gemeinsam mit Mitgliedern des Stadtteilnetzwerkes Potsdam-West gegen die drohende Abschiebung mobil machte. Es gelang, den Fall vor die Härtefallkommission zu bringen, die sich Ende vergangenen Jahres tatsächlich für ein Bleiberecht der Familie aussprach. Doch Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) blieb hart. Er entschied, dass die Brkics trotzdem abgeschoben werden sollen, genauso wie eine zweite Roma-Familie aus Serbien, die in Forst lebt (PNN berichteten).

Die Entrüstung war groß. Nicht nur die Härtefallkommission fühlte sich übergangen, auch der Flüchtlingsrat Brandenburg schaltete sich ein und sprach von einem „Richtungswechsel“ im Brandenburger Innenministerium. Unter der Federführung des Stadtteilnetzwerks Potsdam-West wurde daraufhin ein Brief an Schröter verfasst, unterzeichnet von Vertretern mehrere sozialer, kultureller und sportlicher Institutionen. Versprechen könne er nichts, sagte Schröters Sprecher nun. Aber der Minister werde sich das Schreiben zumindest noch mal „gründlich ansehen“. Parallel sammeln die Breakdancer Geld bei Auftritten für einen Anwalt, der die Brkics unterstützen soll.

Die Zeit läuft: Am 13. Juni endet die derzeitige Duldung für Vule und seine Familie. Zoran hofft, dass es noch eine Chance gibt. In Serbien wüsste er nicht wohin. Und Vule soll doch eigentlich im September in die Grundschule, sein kleiner Bruder in die Kita. Ein paar wenige Worte kann auch Dušan schon. Zwei davon sind „Oma“ und „Opa“. Gemeint sind die Nachbarn.

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