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Landeshauptstadt: „Kapitän sprechen: du kaputt“

Reinhard Pöller wurde neun Monate im Potsdamer KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße gequält

Reinhard Pöller wurde neun Monate im Potsdamer KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße gequält Von Erhart Hohenstein Nauener Vorstadt - „Wenn du nicht sagen Wahrheit, Kapitän sprechen: du kaputt!“ Das erklärte der sowjetische Wachposten dem Häftling Reinhard Pöller, wenn er ihn aus dem KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße zur Vernehmung ins benachbarte, heute von einem evangelischen Kindergarten genutzte Gebäude führte. Der immer wieder beschimpfte, geschlagene und mit Fußtritten traktierte 19-Jährige gab auf – er unterschrieb die aberwitzige Anschuldigung, ein englischer Spion zu sein. Damit rettete er sein Leben, wurde aber zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er fast zehn in Bautzen und Torgau absitzen musste, ehe er 1956 entlassen wurde. Der 77-Jährige kehrte nicht gern an jenen Ort zurück, an dem er neun Monate lang gequält worden war, wollte sich aber der Einladung des Fördervereins der Gedenk- und Begegnungsstätte zum Zeitzeugengespräch nicht entziehen, um jüngeren Generationen seine Erfahrungen als Mahnung weiterzugeben. Der Abiturient aus Münster war von seiner Familie im Oktober 1946 ins zerbombte Dresden geschickt worden, um Verwandte ausfindig zu machen und ihnen Hilfe anzubieten. Aus der Barackenunterkunft heraus, in der er die erste Nacht schlief, wurde der junge Mann bereits am anderen Morgen verhaftet. Alle Beteuerungen halfen nichts – da Pöller aus der englischen Besatzungszone gekommen war, musste er ein englischer Spion sein und wurde ins Potsdamer KGB-Gefängnis gebracht. Lange Zeit wusste er nicht einmal, wo er sich befand. Der Zeitzeuge schilderte den Alltag in der Leistikowstraße: Fensterlose, auch im Winter ungeheizte Zellen, eine Holzpritsche ohne Decke, neun Monate ohne Wäschewechsel, als Nahrung Wassergraupen und Brot, ein deckelloser Eimer für die Notdurft, Läuse, Krätze und Zahnvereiterung ohne jegliche Behandlung – und dann die entsetzlichen Schreie der Frauen, die von den Posten aus den Zellen gezerrt wurden, ohne dass man helfen konnte. Später in Bautzen war Pöller Augenzeuge, wie sein schwer erkrankter Zellengenosse Erich Timian, der sich verbotenerweise tagsüber auf seine Pritsche gelegt hatte, buchstäblich zu Tode getrampelt wurde. Die „Schuld“ des thüringischen Oberförsters bestand darin, dass er SS-Leuten, die ausgebrochene sowjetische Kriegsgefangene suchten, notgedrungen einen Plan der Forstwege ausgehändigt hatte. Fakten- und Namensgedächtnis des 77-Jährigen sind phänomenal. Genau erinnert er sich an seine beiden Potsdamer Zellengenossen Rafael Thiel und Arthur Pilz, die beide zum Tode verurteilt wurden. Schmerzlich denkt Pöller auch an den sowjetischen Hauptmann Wolodja Konstadinow aus Krasnodar zurück, dessen todeswürdige „Straftat“ darin bestand, ein Mädchen in Westberlin zu lieben. Wenn er körperlich zerschlagen und blutüberströmt von den Vernehmungen zurückkam, wusste Konstadinow längst, dass im Waschküchenkeller des Nebengebäudes das Erschießungskommando auf ihn wartete. Der Förderverein hat ein ausführliches Tonbandinterview mit Reinhard Pöller geführt. Davon wird ein Ausdruck hergestellt, der von den Besuchern des ehemaligen KGB-Gefängnisses mitgenommen werden kann. Die Gedenkstätte Leistikowstraße ist bis Oktober sonnabends und sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr geöffnet.

Erhart Hohenstein

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