zum Hauptinhalt

SAMSTAGS Cocktail: Kein Echtholzparkett

Als Kind duschte ich eine Zeitlang nur kalt. Ich probierte auch, mich von Gras zu ernähren oder mit sehr wenig Schlaf auszukommen.

Stand:

Als Kind duschte ich eine Zeitlang nur kalt. Ich probierte auch, mich von Gras zu ernähren oder mit sehr wenig Schlaf auszukommen. Ich wappnete mich für den Ernstfall. Wenn ich in einem Verlies landen sollte oder an sonst einem unwirtlichen Ort, wollte ich nicht gleich an den Anfangsschikanen böser Menschen zugrunde gehen. Meine Hoffnung auf Hilfe durch die entsprechenden Staatsorgane fand auch in späteren Jahren kaum Nahrung. Als in den Neunzigern auf dem Hof des Melodie-Kinos ein Mann mit einer Pistole erschien und wir Angestellten, verschanzt hinter der Süßwarentheke, die 110 wählten, dauerte es eine halbe Stunde, bis ein Streifenwagen vor der Tür hielt. Der Pistolenmensch war inzwischen von einem beherzten Kinogast niedergerungen worden. Kürzlich sind mir Portemonnaie und Telefon auf einem Spielplatz entwendet worden. Kaum hebt man das Kind auf die Rutsche und kehrt der Welt den Rücken, rächt es sich. In dem schmalen Polizeibüro, in dem ich Anzeige erstatte, liegt auf dem Tisch ein goldengewirktes Wachstuchdeckchen, darauf ein kleiner Zimmerfarn. Es gibt keine genügsameren Wesen im Reich der Flora. Das starre, immerwährende Hellgrün spiegelt den Kampf gegen die Anspruchslosigkeit. Es gilt: Zähheit statt Pracht. Mit ähnlich stummer Verbissenheit kämpft die Frau hinter dem Schreibtisch mit ihrem Computer, in den sie meinen Bericht hineinbekommen muss. Meine spärlichen Angaben werden begleitet von Seufzern ihrerseits, vielleicht liegen ihr die nie abreißenden Taten der Kriminellen auf der Seele, vielleicht denkt sie aber auch an die lästigen Software-Lehrgänge, andauernd neu – dieses ganze neue Zeug! Zwei Stunden später ist es so weit, sieben Sätze sind verfasst, jetzt könnte ich gehen, wenn nur der Drucker das so mühevoll beschriebene Papier herausgeben würde. Eine Technik haben wir, aber Hauptsache, beim Minister liegt Echtholzparkett! Ein Kollege wird geholt. Auf dem Rückweg denke ich an die Bilder in meinem Portemonnaie. Unbrauchbar für einen Dieb, liegen sie sicher schon auf dem Grund der Havel. Sinnlos gewordene Porträts, die sich nach und nach auflösen werden. Inzwischen habe ich auch mehrmals versucht, mich anzurufen, aber der Teilnehmer ist nicht erreichbar.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien ihr Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“. Nächste Lesungsauftritte beim Literaturfestival lit:pots und anlässlich der Wiedereröffnung der Bibliothek am 7. September.

Julia Schoch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })