Homepage: Kein Grund zur Verzweiflung Debatte zu Aussichten der Geisteswissenschaften
„Sie sind so depressiv!“ Helmuth Lehnert war mal wieder in Fahrt.
Stand:
„Sie sind so depressiv!“ Helmuth Lehnert war mal wieder in Fahrt. Schon zum zweiten Mal hatte die studentische Gruppe „Americonomy“ den schelmischen RBB-Mann und ehemaligen Radiomoderator an die Uni Potsdam eingeladen. Und der las den Studierenden zum zweiten Mal die Leviten. Mit vier weiteren Gästen diskutierte Lehnert jüngst zu dem Thema „Quo vadis Geisteswissenschaften?“. Eine Frage, die Studierende, Lehrende und Menschen aus der Berufswelt gemeinsam besprechen sollten.
Auch eine Frage, die manchen Studenten in Verzweiflung ausbrechen ließ: hohe Abbrecherquoten im Studium, garantierte Teilnahme an der „Generation Praktikum“ und dumme Fragen auf Familienfeiern waren nur einige der Klagen. Geisteswissenschaftler seien doch „Muttis mit Doktor“, zitierte Moderatorin Stephanie Siewert einen Kommilitonen. Einen Mathematiker, wohlgemerkt. Doch Multitalent Lehnert, dessen Karriere ihn vom Theater über das Radio zum Fernsehen geführt hat, wollte davon nichts wissen. „Sie sind entweder mutig oder naiv“, munterte er das Publikum auf. „Beides ist eine gute Voraussetzung, um im Leben weit zu kommen.“
So zeigte die Diskussion schnell, wo die Schwierigkeiten bei der Fragestellung „Quo vadis Geisteswissenschaften?“ liegen. Mögen die Fächer auch einem starken institutionellen Wandel unterliegen: es sind immer noch persönliche Fragen, die die Studierenden bewegen. Werden Geisteswissenschaftler in der heutigen Berufswelt wirklich noch gebraucht? Was, wenn man nur weiß, dass man „irgendwas mit Buch“ machen will?
Hierzu gab es unterschiedliche Meinungen. Marjan Parvand, dreisprachig aufgewachsen, merkte man einen absoluten Willen zum Erfolg an: Kontakte knüpfen und halten, so ihr Motto. Sie arbeitet als Nachrichtenredakteurin beim Fernsehen. „Ein guter Job hat nichts mit Glück zu tun“, sagte sie den Studierenden. Doch Dr. Thomas Grünewald war anderer Meinung. Der neue Vizepräsident für Lehre und Studium der Uni Potsdam hat 15 Jahre lang als Althistoriker gearbeitet. Und sagte von sich selbst: „Meine Biographie ist eine Ansammlung von Zufällen.“ Ihm war wichtig, Sorgfalt und Gelassenheit walten zu lassen. Die Geisteswissenschaften seien besser als ihr Ruf. Grünewald wusste die Statistiken auf seiner Seite: Solange man sein Studium nicht abbreche, habe man immer gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Aber der Amerikanist Prof. Rüdiger Kunow wollte nicht alle optimistischen Töne gelten lassen. „Lebensentwürfe können auch scheitern“, warnte er vor zu viel Gelassenheit. Er wisse aus eigener Erfahrung, dass Arbeitslosigkeit und das Scheitern persönlicher Wünsche eine schwere Belastung für die Betroffenen darstellen können. Eine gelungene Selbstdarstellung und regionale Vernetzung mit der Berufswelt sind daher Teil seiner Vorstellung von zeitgemäßer geisteswissenschaftlicher Arbeit.
Die Projektgruppe „Americonomy“, die seit dem Jahr 2002 an seinem Lehrstuhl beheimatet ist, will einen Beitrag dazu zu leisten. Die gut besuchte Podiumsdiskussion bildete den Abschluss eines Seminars, das die Studenten in Eigenregie veranstaltet hatten. In dem Seminar hatten sich Studierende mit für sie geeigneten Berufsfeldern beschäftigt. Ein „voller Erfolg“, sagte Antonia Mehnert von der Projektgruppe. Den feierten die Studierenden nach der Diskussion mit einem Empfang. Gegen eventuelle geisteswissenschaftliche Depression wirkten dann Flötenklänge und Abendlicht am Neuen Palais sehr heilsam. Mark Minnes
Im Internet:
uni-potsdam.de/americonomy
Mark Minnes
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: