
© T. Rückeis
Von Jan Brunzlow: Kein Kontakt zu Kontakt-Personen
Am 4. Oktober 1989 war ein entscheidender Tag für Potsdam – das Neue Forum stellte sich öffentlich vor
Stand:
Es gibt nur wenige Tage im Leben, an die man sich so erinnert wie an jenen 4. Oktober. Hans-Georg Baaske kennt auch 20 Jahre danach noch jedes Detail. Wie kalt es war, wie viele Menschen an diesem Tag in der Friedrichskirche waren, wer alles zu ihnen gesprochen hat und was er selbst zu ihnen gesagt hat. Er weiß aber auch noch, wie viele Polizisten um den Weberplatz standen, wo die Betriebskampftruppen als Nachrücker waren und wer Befehlshaber gewesen ist. Es ist der Tag, an dem das am 9. September 1989 gegründete Neue Forum zu einer ersten Informationsveranstaltung in Potsdam eingeladen hatte. Ein Tag, den Ministerpräsident Matthias Platzeck und auch viele andere Teilnehmer im Rückblick als „den Beginn der friedlichen Revolution in Potsdam“ bezeichnen.
Tausende Menschen kamen an diesem Abend in die Babelsberger Kirche, weil sie etwas verändern wollten. Lautsprecher sind vor der Kirche aufgestellt worden, weil viel mehr Leute kamen als in das Gotteshaus hineinpassen. „Es war ein sehr überraschender und wichtiger Tag – aber bei weitem nicht der Wichtigste“, sagte Hans-Georg Baaske rückblickend. Ausgangspunkt sei die Wahl am 7. Mai 1989 gewesen. Da konnte in Potsdam erstmals ein Wahlbetrug nachgewiesen werden. Dabei ging es um den Vorwurf, so Baaske – es wären wahrscheinlich nur 92 Prozent Zustimmung anstatt der offizielle vermeldeten 99 Prozent für die regierende SED, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, gewesen.
Heute ist Baaske Pfarrer in Caputh, vor 20 Jahren war er für die Betreuung der Jugendgruppen in der evangelischen Kirche Potsdam verantwortlich. Dazu zählte die Gruppe „Schmiede“, die in den 80er Jahren von Polizei und Staatsicherheit zerschlagen worden ist, und deren Nachfolger „Kontakte“. 15 bis 20 Jugendliche hätten sich darin regelmäßig getroffen. „Jugendliche, die versucht haben ihren Weg zu finden“, sagt Baaske. Es ging nicht immer nur darum, die Welt zu verändern. Manchmal seien es für heutige Verhältnisse ganz profane Dinge gewesen, die zum Streit mit dem Staat geführt haben. Baaske kennt viele Geschichten wie diese: Die Jugendlichen wollten Aufkleber an Mülltonnen anbringen, auf denen „Keine heiße Asche einfüllen“ stand. Im Herbst hätten in Babelsberg immer die Mülltonnen gebrannt, weil die Asche den Müll in Brand gesetzt habe. „Das hat fürchterlich gestunken.“ Aber schon das habe Ärger gegeben.
Baaske erinnert sich an den Druck in dieser Zeit, seitens des Staates und auch seitens der Kirche. Opposition gegen den Staat sei bei weitem kein einheitlicher Prozess innerhalb der Kirche gewesen. Von den Jugendlichen aus dem damaligen Kreis „Kontakte“ habe er heute übrigens keinen Kontakt mehr. Nur einen kennt er noch, der heute Rechtsanwalt in Potsdam ist. Die Jugendlichen hätten sich schnell immer mehr zurückgezogen – und Potsdamer wie Detlef Kaminski, Rudolf Tschäpe und Reinhard Meinel kamen immer mehr in den Vordergrund. Den Jugendlichen sei das Heft aus der Hand genommen worden, so Baaske. Jeden Tag sei man von den Ereignissen im Land eingeholt worden.
An diesem Sonntag, 20 Jahre nach diesem Tag in der Friedrichskirche, wird er wieder auf dem Weberplatz stehen und eine Predigt halten – genau dieselbe wie vor 20 Jahren. „Bis auf vier oder fünf Worte ist die immer noch aktuell“, so der Pfarrer.
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