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Homepage: Kein Platz mehr im Internet

Im World Wide Web werden die Adressen knapp. Experten aus aller Welt berieten deshalb am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut über die Einführung einer neuen Internet-Generation

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Wie wäre es, würde bei der morgendlichen Fahrt zur Arbeit das Auto selbst auf den Sicherheitsabstand achten, in eigener Regie den Stau umfahren, die neuesten Nachrichten in hochauflösendem Videoformat anbieten und ganz nebenbei darauf hinweisen, nach der Arbeit noch beim Arzt vorbeizuschauen, weil etwas mit den Blutwerten nicht stimmt?

Für Internet-Visionäre ist dies keine abwegige Vorstellung. Im weltweiten Netz der Zukunft soll jeder mit allem verbunden sein. Es ist die Rede vom „Internet der Dienste und Dinge“. Jeder Gang zu Behörden bliebe einem dann erspart, weil man schlicht von jedem Ort mit den Angaben des elektronischen Personalausweises ein Videotelefonat führen kann.

Um aber diese neuen Anwendungen realisieren zu können, braucht das Internet mehr Kapazität und verbesserte Datenverkehrsregeln. Auf einem Internet-Gipfel in der vergangenen Woche am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut haben deshalb Experten aus aller Welt über die Einführung des neuen Internetprotokolls IPv6, also quasi einer neuen Autobahn für das Internet, diskutiert.

Das bisherige Regelwerk, die sogenannte Internet-Protokollversion IPv4, gibt es bereits seit 30 Jahren. Es begrenzt die Zahl der Netzanschlüsse auf 4,3 Milliarden Adressen. Laut Expertenberechnungen sind davon nur noch 16 Prozent verfügbar. Google-Vorstand und Internet-Pionier Vinton Cerf mahnte deshalb per Videobotschaft zur Eile. Die Internetnutzung nehme jährlich um rund 40 Prozent zu. So habe China mit 220 Millionen Nutzern kürzlich die USA überholt.

Was aber unterscheidet das neue vom alten Protokoll? Ein Vergleich mit der Post erleichtert das Verständnis: Angenommen die Post hätte bisher die Möglichkeit, mit herkömmlichen Anschriften – also mit Namen, Straße, Hausnummer, Ort und Postleitzahl – Sendungen an vier Milliarden verschiedene Adressen weltweit zu verschicken. Dann würde nicht jeder Post bekommen können, denn es leben weit mehr Menschen auf der Welt und es hat auch nicht jeder nur eine Adresse. Schon heute verfügen manche über ein Sommerhaus, ein Postfach für Geschäftliches oder eine andere Zweitanschrift. Und der Bedarf an Adressen steigt weiter an. Damit also nicht eines Tages die Post einem Kunden ihre Dienste verwehren muss, weil er keine Anschrift hat, müsste sie einen neuen, längeren Adresskopf einführen. Und genau das sieht das neue Internetprotokoll IPv6 vor: einen doppelt so langen Kopf, mit dem künftig etwa 10 hoch 36 Adressen möglich sind. Das ist eine so unglaublich große Zahl, dass man davon ausgeht, damit die Adressierungsknappheit im Internet behoben zu haben.

Ein Ziel der Potsdamer Internet-Tagung war es, die Notwendigkeit einer Umstellung auf die neue Version deutlich zu machen und mit bedrohlich wirkenden Zahlen eine möglichst rasche Einführung des Protokolls zu erreichen. Die Experten sprechen davon, dass in etwa zwei bis vier Jahren sämtliche bisher nutzbaren Adressen vergeben sind. Das Resultat wäre dann das gleiche wie bei der Post. Die Kunden könnten die Dienste des Internets nicht mehr nutzen, da sie keine Adressen hätten.

Die Einführung der neuen Version wird nicht ohne Probleme vonstattengehen. Es muss ein nicht unerheblicher Aufwand betrieben werden, um das gesamte Internet auf das neue Protokoll umzustellen. Unklar ist, welche Sicherheitslücken und Übertragungsfehler dabei entstehen und ob während der Umstellung Daten missbraucht werden können. Zudem ist der Nutzen für den Endverbraucher nicht erkennbar. Wenn die Umstellung einmal vollzogen ist, dann werden die Anwender davon nichts merken, weil das Internet genauso funktionieren wird, wie es das heute tut, nur eben weit umfangreicher. Es gibt also keinen Anreiz, das System bereits jetzt umzustellen, da das alte sich ja über fast 30 Jahre bewährt hat.

Dennoch führt am neuen Internetprotokoll kein Weg vorbei. Um nicht eines Tages vor der Krise der Adressenknappheit zu stehen, sind umfangreiche Programme auf EU-Ebene sowie in Bund und Ländern im Gange, die die Einführung beschleunigen sollen. Die für Informationsgesellschaft und Medien zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding kündigte auf der Tagung per Videobotschaft einen Aktionsplan der Europäischen Union an. Es werde versucht, bis 2010 etwa 25 Prozent der Internetnutzer in Europa an das neue System anzuschließen, das dann vorerst parallel zum alten besteht. Das sei auch die einzige Möglichkeit eine Verbreitung anzustreben, da man in einem so komplexen und dezentralen Gebilde wie dem Internet nur durch Massenströmungen Veränderungen herbeiführen könne.

Wer den Prozess beschleunigen will, müsste seinen Internetdienst-Anbieter darauf ansprechen, ob und in welchem Umfang IPv6 nutzbar ist und ob es Möglichkeiten gibt, den Funktionsumfang zu erweitern. Dies setzt natürlich ein IPv6-fähiges Betriebssystem wie zum Beispiel Windows Vista voraus.

HPI-Direktor Christoph Meinel zog am Ende der Potsdamer Tagung eine positive Bilanz: Die Vorbereitungen für die Umstellung seien schon weit gediehen. Deutschland habe gute Chancen, im technologischen Wettbewerb um das Internet der Zukunft mitzuhalten, so Meinel, der den im vergangenen Jahr gegründeten deutschen IPv6-Rat leitet. Jetzt gehe es darum, einen konkreten Fahrplan für den Übergang auf den modernen Internetstandard aufzustellen.

Marianus Potratz

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