Homepage: „Keine Experimente“
Für Chef-Onkologe Georg Maschmeyer ist es Pflicht, mit seinen Patienten an Studien teilzunehmen
Stand:
Herr Professor Maschmeyer, würden Sie als Patient am Ernst von Bergmann-Klinikum an einer Studie teilnehmen?
Ja, auf jeden Fall. Weil ich die Chance habe, die Erkrankung, die ich habe, noch besser behandeln zu lassen.
Und wie überzeugen Sie Ihre Patienten dazu? Immerhin nehmen ja die Hälfte aller Krebspatienten in Ihrer Abteilung für Hämatologie und Onkologie an Studien teil.
Ich überzeuge niemanden. Wir stellen den Patienten die Studie lediglich vor. Manche Patienten sind so belastet durch den Schock ihrer Diagnose, dass sie sagen: „Mein Kopf ist leer, ich will keine Unterlagen durchlesen oder unterschreiben.“ Dann sagen wir: „Das verstehen wir“ und geben ihnen die Standard-Therapie. Aber auch wenn der Patient schon unterschrieben hat, kann er jederzeit die Teilnahme an der Studie beenden – ohne Angabe von Gründen.
Patienten wollen ja auch nicht unbedingt als Versuchskaninchen für neue Medikamente oder Methoden benutzt werden.
Wir machen ja keine Versuche in dem Sinne, dass wir gucken, was passiert. Wir vergleichen verschiedene Therapien – eben den Standard mit einer neuen Behandlungsweise. Das heißt, Versuchskaninchen sind Patienten sowieso nicht. Sie erhalten immer die Standardbehandlung plus eine neue Methode. Es gibt aber auch Patienten, denen wir mit zugelassenen Medikamenten nicht mehr helfen können. Die wünschen sich sogar etwas Neues aus der Forschung. Sie sagen uns wortwörtlich: „Machen Sie, was Sie wollen, egal welche Nebenwirkungen.“ Da bremsen wir dann und sagen: „Das machen wir nicht.“ Keine Experimente.
Warum beteiligt sich das Klinikum an Studien? Es verdient doch so kein Geld dazu.
Nein, wir verdienen nichts daran. Aber weltweit muss jedes Therapieverfahren zur Behandlung von Krebs immer wieder geprüft werden. Das ist Pflicht. Sie werden von den Fachgesellschaften nicht als Onkologie- und Hämatologie-Klinik zertifiziert, wenn Sie nicht an Studien teilnehmen. Und Studien dienen auch der Reputation. Wir sind für Patienten attraktiv, wenn wir sagen können: „Für Ihre Erkrankung gibt es eine Möglichkeit, da läuft eine Studie bei uns.“
Und wer gibt die Studien in Auftrag?
Meist sind es Pharmafirmen. Denn eine Studie bedeutet einen unglaublichen finanziellen und bürokratischen Aufwand. Dazu fehlen einer einzelnen Klinik die Möglichkeiten. Wir haben auch die Vorgabe von der Klinikleitung, dass durch eine Studie keine Kosten entstehen.
Wie teuer ist denn eine Studie?
Das kostet Millionen. Für eine Studie mit 30 Kliniken und 1000 Patienten zum Beispiel muss eine Spezial-Firma regelmäßig von Klinik zu Klinik reisen, um die Umsetzung zu kontrollieren. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Dann muss jeder Teilnehmer versichert werden. Im Falle eines studienbedingten Schadens würde er 5 bis 20 Millionen Euro erhalten.
Gab es das in Potsdam schon einmal?
Nein. Aber auch die Versicherung kostet zwischen 250 und 500 Euro pro Patient.
Und die Pharmafirmen zahlen alles?
Wir sind dazu gezwungen, Sponsoren zu suchen. Teilweise übernimmt auch die Deutsche Krebshilfe Kosten. In der Regel ist das aber leider eine Pharmafirma. Das haben wir uns nicht ausgedacht, sondern das ist eine Folge des geltenden Arzneimittelgesetzes. Darum haben die großen Universitätskliniken und auch die Fachgesellschaft der Hämatologen und Onkologen eigene Studienfirmen gegründet, die dann selbst als Sponsoren auftreten. Denn es kann nicht sein, dass wir alle klinisch relevanten Fragen nur noch angehen können, wenn eine Pharmafirma Interesse hat. Das wäre ja eine Katastrophe.
Es soll Zahlen geben, die belegen, dass Studienteilnehmer bessere Heilungschancen haben als andere Patienten. Und zwar auch, wenn sie nur zur Kontrollgruppe gehören, die nach der üblichen Methode therapiert wird. Werden Studienteilnehmer besser behandelt?
Sie werden nicht mit besonderer Bevorzugung behandelt, weil das ja zu Lasten der anderen Patienten ginge. Aber es ist tatsächlich immer wieder beobachtet worden, dass Patienten in der Standard-Gruppe der Studie bessere Ergebnisse haben als vorher angenommen.
Reiner Placebo-Effekt?
Nein, es ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass in einer Studie alles auf maximalem Niveau dokumentiert wird, damit jederzeit für Zulassungsbehörden genau einsehbar ist: Was ist wann bei dem Patienten geschehen? Die Studienteilnehmer werden also sehr präzise beobachtet und diagnostiziert. Da gibt es ganz strikte Regeln, die im Studienprotokoll stehen. Und das muss von der brandenburgischen Ethikkommission, verschiedenen Landesbehörden und der Klinikleitung bewilligt worden sein. Es ist also bereits durch mehrere Kontrollinstanzen gegangen. Das heißt, der Patient ist nicht mehr allein abhängig davon, dass sein behandelnder Doktor genau das Richtige macht.
Das spräche ja nicht gerade für Ihre Kollegen, die sich nicht an Studien beteiligen.
Ja, aber das hören die nicht so gern.
Das bedeutet doch, dass man die Behandlung für die Patienten außerhalb der Studien verbessern müsste.
Das wäre eine durchaus denkbare Konsequenz. Allerdings machen wir das auch schon. Wir haben alle Therapien in der Hämatologie und Onkologie schriftlich festgelegt – auch, wann welche Untersuchungen stattfinden müssen. Das ist alles standardisiert, so dass wir nach Möglichkeit Irrtümer ausschließen.
Herr Professor Maschmeyer, vielen Dank! Interview: Juliane Wedemeyer
Georg Maschmeyer ist Chefarzt der Onkologie und Hämatologie am Ernst von Bergmann-Klinikum. Die Ärzte seiner Abteilung führen derzeit 20 der insgesamt 35 Studien am Klinikum durch.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: