Links und rechts der Langen Brücke: Keine Musterschüler
Nicola Klusemann über den idealisierten Integrationsgedanken, der Kindern mit Defiziten den eigenen Weg versperrt
Stand:
Im Mittelpunkt aller Betrachtungen muss das Kind stehen. Und zwar das einzelne mit seinem ganz individuellen Förderbedarf und nicht der ehrgeizig zurecht gestutzte Musterschüler, der ins idealisierte Integrationsprogramm passt.
Es bezweifelt niemand, dass Kinder mit Sprachauffälligkeiten bei entsprechender frühzeitiger Förderung ihre Defizite bis zur Einschulung so wett machen können, dass sie sich in den Verband einer Regelschule einfügen. Und dort sogar von der Sprachfähigkeit der normal entwickelten Kinder profitieren. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch jene Kinder, die so stark entwicklungsverzögert sind, dass sie auch nach intensiver Therapie kaum einen Ton herausbringen. In der Auseinandersetzung mit wortgewaltigen Mitschülern müssen sie zwangsläufig ganz verstummen. In solchen Fällen empfehlen Kinderärzte, Frühförderstellen und Psychologen aus gutem Grund eben keine Integration, sondern den Schonraum Förderschule. Das wird nicht das Gros sein. Einzelfälle eben, denen aber die Wahlmöglichkeit zwischen Intergration, Sprachheilschule oder wie jetzt erprobt Förderklasse bleiben muss.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht auch das Kind, wenn in einem Feststellungsverfahren unter Vorsitz der Sonderpädagogischen Beratungsstelle der persönliche Förderbedarf ermittelt werden soll. Allerdings ist die Stelle kein unabhängiges Gremium, sondern dem Staatlichen Schulamt unterstellt. Weil man auch dort insbesondere mit Hinblick auf den finanziellen Aufwand für Förderschulen die Bedarfszahlen drücken möchte, kommen am Ende offenbar immer Integrationsschüler heraus. Empfehlungen und Gutachten von unabhängigen Fachleuten, die mit dem Kind schon Jahre arbeiten, finden kaum Beachtung. Die gerade novellierte Verordnung für die Ermittlung von sonderpädagogischem Förderbedarf schreibt dies auch nicht zwingend vor. Alles zusammengenommen führt dies zum immer gleichen und offenbar gewünschten Ergebnis: Es besteht kein Bedarf an Förderschulen. Jedes Kind wird auf Biegen und Brechen integriert, weil der Gedanke vom gemeinschaftlichen Lernen als pädagogische Allheilmittel prima ins Budget passt.
Und am Ende fallen doch ein paar durchs Raster, das ist die Fehlleistung von Individualität. Zugegeben: Es sind nur Einzelfälle, aber mit dem einheitlichen Recht auf individuelle Förderung. Auch für solche Kinder muss es die Möglichkeit geben, sich auf seine Weise ins Leben einzufügen.
Nicola Klusemann
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