Aus dem GERICHTSSAAL: Keine Rede von Notwehr
Abendschüler schlug einem Juristen einen Zahn aus
Stand:
Es ist Dienstag, der 12. September 2006, gegen 18.30 Uhr. Zahlreiche Schüler des Abendgymnasiums „Heinrich von Kleist“ verlassen das Gebäude für eine Raucherpause an der frischen Luft. Ein Radler befährt die Friedrich-Ebert-Straße in Richtung Nauener Tor, als vor der Schule ein junger Mann auf die Fahrbahn tritt. Der Radfahrer klingelt, bremst, versucht auszuweichen, prallt schließlich mit dem Fußgänger zusammen und stürzt. Dann überschlagen sich die Ereignisse.
Gestern sahen sich der Abendschüler Sebastian S.* (24) und der Radfahrer Frank F.* (42) vor Gericht wieder. „Eine Kollision war unvermeidlich. Ich flog über den Lenker und fand mich am Boden wieder“, schilderte Frank F. – von Beruf selbst Richter – die Situation im Zeugenstand. „Mein Knie schmerzte. Anstatt mir zu helfen, grinste der junge Mann nur dümmlich. Ich hatte den Eindruck, er stand unter Drogen.“ Nachdem er sich aufgerappelt hatte, habe er seinen Unfallgegner „leicht an der Mütze gezogen, weil der überhaupt keine Reaktion zeigte“, so der Jurist. Doch da reagierte Sebastian S. Er schlug Frank F. zweimal ins Gesicht, einmal mit der flachen Hand, einmal mit der Faust. Die Lippe des Rechtsgelehrten platzte auf, ihm wurde ein Zahn ausgehauen, die Augenbraue lädiert, die Brille demoliert. Der Staatsananwalt forderte eine Haftstrafe für den mehrfach wegen gefährlicher Körperverletzung, schweren Raubes sowie Bedrohung Vorbestraften. Amtsrichter Lange drückte beide Augen zu, verurteilte Sebastian S. – er holt gerade den Realschulabschluss nach – wegen fahrlässiger sowie gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten und zwei Wochen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zudem hat er 100 Sozialstunden zu leisten.
„Ich bin nicht auf die Straße getreten, um einen Unfall zu provozieren“, parierte der Angeklagte die Aussage von Frank F. „Dass ich ihn geschlagen habe, stimmt. Es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist.“ Eine Polizeizeugin, die den Vorfall aufnahm, schilderte vor Gericht, Sebastian S. habe „zugegeben, den Radfahrer geschlagen zu haben, da er sich durch dessen Griff an seine Mütze bedroht fühlte.“ Als Zeugen geladene Mitschüler sagten aus, Sebastian S. habe dem Gestürzten auf die Beine helfen wollen. Doch der Radfahrer habe ihn beleidigt, sich mit ihm herumgeschubst. „Als Sebastian schließlich zuhaute drohte der Mann, dass wird teuer für dich, Freundchen“, erinnerte sich eine Klassenkameradin. Von einer Notwehrreaktion des Angeklagten könne keine Rede sein, befand der Vorsitzende. Sebastian S. habe den Anlass zum Sturz des Radfahrers gegeben. Er hätte damit rechnen müssen, dass dieser entsprechend reagiert. (*Namen geändert.)Hoga
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: