
© A. Klaer (Archiv)
Kritik an mangelnder Barrierefreiheit im Nahverkehr Potsdam: Kinderwagen kontra Rollstuhl
Potsdamer mit Behinderung beklagen im Nahverkehr die zunehmende Konkurrenz zu Kinderwagen. Einige Straßenbahnhaltestellen sind außerdem noch immer nicht barrierefrei. Und manche wünschen sich mehr Respekt und Freundlichkeit von den Fahrern.
Stand:
Potsdamer mit Behinderung bemängeln die fehlende Barrierefreiheit im Nahverkehr der Stadt. So seien noch immer nicht alle Haltestellen für Rollstuhlfahrer geeignet, außerdem stünden Rollstuhlfahrer zunehmend in Konkurrenz zu Kinderwagen. Zudem lasse die Höflichkeit gegenüber Menschen mit Behinderung bei so manchem Bus- und Tramfahrer zu wünschen übrig. All dies kam beim jüngsten Potsdamer Forum für Menschen mit Behinderung zur Sprache – bei dem auch Vertreter der Verkehrsbetriebe Rede und Antwort standen.
Eine Rollstuhlfahrerin werde oft nicht mitgenommen, weil der Bereich im Bus schon mit Kinderwagen belegt sei
Vor allem der mangelnde Platz durch die wachsende Zahl von Kinderwagen wurde gleich von mehreren Rollstuhlfahrern angesprochen. Eltern seien nun mal schneller als Rollstuhlfahrer unterwegs und deshalb meist als Erste im Bus oder in der Tram, berichtete ein Betroffener. Weil der „Mobilitätsbereich“ dann besetzt sei, habe man als Rollstuhlfahrer dann oft das Nachsehen. Auch eine Frau berichtete, dass sie etwa an der Großbeerenstraße oft nicht mitgenommen werde – weil der Bereich im Bus schon mit Kinderwagen belegt sei. Der Fahrer dürfe nicht entscheiden, welche Fahrgäste er mitnehme und welche nicht, erklärte Steffen Ott vom Verkehrsbetrieb Potsdam (ViP). Die Regel sei aber, dass Rollstuhlfahrer aus Sicherheitsgründen nicht etwa im Gang oder Türbereich stehen dürften. Ähnlich äußerte sich Hans-Jürgen Hennig, Geschäftsführer der Regiobus Potsdam Mittelmark GmbH. Zwar gebe es ein Recht auf Reservierung für Rollstuhlfahrer im sogenannten Mehrzweckbereich des Busses, sagte er. Dieses Recht greife aber erst im Fahrzeug und beziehe sich nicht auf die Mitnahme an sich. Mit anderen Worten: Wer zuerst drin ist, mahlt zuerst.
Auch Henning und Ott bestätigten den Eindruck der Rollstuhlfahrer, dass die Zahl der Kinderwagen deutlich zugenommen hat – wie auch jene der Rollatoren. Regiobus setze deshalb verstärkt auf längere Gelenkzüge – die allerdings nicht auf allen Straßen und Wendeschleifen einsetzbar seien, so Henning. Auch der ViP fahre auf besonders frequentierten Strecken mit Gelenkbussen mit „Mobilitätsbereichen“, so Ott. Außerdem sei zwischen Hauptbahnhof und Hermannswerder, wo sich eine Behindertenwerkstatt befindet, der Takt erhöht worden. An anderen Stellen der Stadt gebe es diese Notwendigkeit nicht. Da die Fahrer der Leitstelle mitteilten, wenn ein Fahrgast nicht mitgenommen werden konnte, habe man hier einen entsprechenden Überblick.
Manche Haltestellen sind nicht barrierefrei
Auch die Straßenbahnhaltestellen in Potsdam sorgten für Diskussionen – vor allem die wichtigen Innenstadt-Halte Brandenburger Straße und Nauener Tor sind immer noch nicht barrierefrei. Laut Ott gestalte sich dies schwierig, unter anderem spielten Denkmalschutz, Randbebauung oder Händlerinteressen eine Rolle. Er gehe aber davon aus, dass im Rahmen des kürzlich vorgestellten Innenstadtkonzepts der Stadt auch über eine Umgestaltung der Haltestelle nachgedacht werde. Potsdams Straßenbauchef Norbert Praetzel, der ebenfalls zu dem Forum geladen war, dämpfte allerdings die Hoffnung auf eine schnelle Lösung. Da hier Millionenbeträge investiert werden müssten, rechne er nicht mit einem Baustart vor 2020.
Ein Mann beschrieb die Fahrer als unfreundlich und respektlos
Auch der aus Sicht einiger Anwesender mangelnde Respekt für Menschen mit Behinderung kam zur Sprache. Mehrere Rollstuhlfahrer berichteten, dass sie regelmäßig geduzt würden. Ein Mann beschrieb die Fahrer teils als unfreundlich und kritisierte ebenfalls mangelnden Respekt. Dass Fahrgäste geduzt würden, gehöre sich nicht und werde nicht geduldet, betonte Ott. Beim ViP gebe es verpflichtende Schulungen für die Fahrer, was den Umgang mit behinderten Fahrgästen angehe. Auch Regiobus führe solche Schulungen durch, so Henning. Mitarbeiter erfahren dabei zum Beispiel im Selbstversuch, wie es ist, sich ohne Augenlicht in einem Bus zu bewegen. Er plädierte aber auch für Verständnis für die Fahrer. „Wir haben es hier mit Menschen zu tun, und der ein oder andere hat mal einen schlechten Tag.“
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In Potsdam finden Menschen mit Behinderungen kaum Gehör. Dabei braucht es eine starke Stimme. Ein Kommentar >>
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