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Landeshauptstadt: Kitzelnder Kontrabass

Das Orchester Collegium Musicum Potsdam besuchte die Wilhelm-von-Türk-Schule für Schwerhörige und Gehörlose

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Das Orchester Collegium Musicum Potsdam besuchte die Wilhelm-von-Türk-Schule für Schwerhörige und Gehörlose Das gefällt dem braun gebrannten Jungen mit dem Hörgerät im Ohr gut. Mit dem Rücken zum Publikum steht er vor dem Orchester und wedelt mit den Taktstöcken. Schnell oder langsam, ausschweifend oder kurz – die Musik klingt so wie er es will, laut oder leise, träge oder rasend. Die Kinder in den Stuhlreihen lachen und klatschen, der Junge dreht sich um, seine Wangen sind rot, auf seinem Gesicht liegt ein freches Grinsen. Mittwochmorgen in der Wilhelm-von Türke-Schule für Hörgeschädigte am Bisamkiez. 47 Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse sitzen im Musiksaal und warten darauf, was das Orchester Collegium Musicum Potsdam auf die provisorische Bühne bringt. Posaune, Horn, Querflöte, Geigen, Cello, Kontrabass stehen durcheinander gewürfelt herum. Aber so geht das nicht, bevor das kleine Konzert los geht, müssen die Mädchen und Jungen die Musiker mit ihren Instrumenten erst einmal in die übliche Orchesterformation bringen. Dann kommt der „echte“ Dirigent ins Spiel, schwenkt den Taktstock einmal hoch, dann runter und der Raum ist plötzlich mit „Peter und der Wolf“ ausgefüllt. „Kenn ich“, flüstern Kinder. Mit der Musikgeschichte von Sergei Prokofjew haben sich die Schüler auf die besondere Musikstunde vorbereitet. Als das Horn laut hallt und der Kontrabass brummt, halten sich einige Mädchen und Jungen schützend die Hände vor das dröhnende Plastik in ihren Ohrmuscheln. Die Musiklehrerin Evelyn Plazenten hat sich neben den Dirigenten gestellt. Ihr Gesicht, ihre Hände und Arme sind im intensiven Einsatz, um zu übersetzen, was der Leiter des Orchesters über den Anfang eines Stückes, über den Einsatz der verschiedenen Instrumente und den im Spiel automatisch schneller werdenden Rhythmus eines Stückes erzählt. In den Klassenzimmern dürfen die Kinder die Instrumente ausprobieren. Manche von ihnen sind gehörlos, andere schwerhörig, erklärt die Musiklehrerin in dem Raum, in dem sich die Cellistin und die Kontrabass-Frau aufgebaut haben. Wer nichts hören kann, dem hilft auch kein Hörgerät, sagt die Lehrerin und erklärt, warum bei manchen Kindern kurz hinter dem Ohr ein kleines Plättchen befestigt ist. Die runden Sender gehören zu den CIs, den Coldcream Implants, die per Magnet mit einem Empfänger im Kopf verbunden sind, sagt die Lehrerin. Mit der künstlichen Hörhilfe könnten zwar die 30 000 nicht funktionierenden Hörzellen nicht ersetzt werden, aber immerhin ließen sich damit Geräusche wahrnehmen. Die Kontrabass-Frau ist die Mutter einer Schülerin. Durch sie kam die Musiklehrerin auf die Idee, das Orchester in die Schule zu holen. Die Kontrabass-Frau stellt die Kinder eng an den großen Hohlkörper aus Holz, sie streichen sanft über die Saiten. Die tiefen Töne kitzeln im Bauch, die Kinder lachen. Was denn da Helles auf den Bogen gespannt ist, fragt ein Mädchen. Pferdehaar von einem Hengst, erklärt die Cellistin. Stutenschweif sei nicht verwendbar, weil der von Urin verdreckt sei. Damit allerdings stößt die Musiklehrerin an ihre Grenzen. „Wie soll ich das in Gebärdensprache übersetzen?“ fragt sie – und probiert es mit Ganzkörpereinsatz.

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