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Landeshauptstadt: Kleider machen Leute

Sabine Greunig hat für alle Dresen-Filme die Kostüme ausgewählt – jetzt hat sie für Doris Dörrie gearbeitet

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Ein Paar Schuhe, grau vielleicht. Oder eine Jacke, an deren Farbe wir uns später nicht mehr so genau erinnern können, die aber zu dieser Frau oder diesem Mann perfekt passte. Manchmal ist es auch die Frisur, die den Charakter nachzeichnet, unterstützt oder verstärkt. Auffallen soll es aber nicht. Denn wenn wir nicht sehen, was Sabine Greunig gemacht hat, dann hat sie gute Arbeit geleistet.

Manchmal braucht Sabine Greunig überhaupt nichts zu machen. Dann übernehmen der Alltag oder das wahre Leben, wie immer man es nennen will, die Arbeit der Potsdamer Kostümbildnerin. Die Jacke, die Axel Prahl als Imbissbudenbesitzer Uwe Kukowski in dem Andreas-Dresen-Film „Halbe Treppe“ trägt, hat sie bei Recherchen vor Ort in Frankfurt (Oder) entdeckt – getragen von einem Imbissbudenbetreiber, der als Vorbild für die Figur Kukowskis diente. Diese helle, blousonartige Jacke, unter der Prahl immer zwei Pullover trägt, roch für Sabine Greunig förmlich wie Imbissbude. Doch so einfach ist es selten. „Oft muss ich für eine Figur einen ganzen Kleiderschrank erfinden“, sagt sie.

Erfinden? So schwer kann das doch nicht sein. Ein Budget für Kostüme gibt es für jeden Film. Und die Modelabels scheinen nur auf solche Möglichkeiten zu warten, denn viele Kinofilme wirken mittlerweile wie Laufstege für Armani und Co. Sabine Greunig, eine schmächtige Frau, mit langen, blonden Haaren und großen, neugierigen Augen, schüttelt den Kopf. „Kein Mensch besitzt nur neue Kleider“, sagt sie.

Figuren im Film sind für die 41-Jährige „optische Charaktere“. Sie sucht die Kleidung, die zu ihnen passt. Bis sie die gefunden hat, muss Sabine Greunig viel Zeit mit diesen Figuren verbringen, manchmal Wochen bevor die erste Szene gedreht wird. Wie bei ihrem jüngsten Projekt „Kirschblüte“, dem neuen Kinofilm von Doris Dörrie.

Es geht um die Geschichte eines Rentnerehepaares. Erst nach ihrem Tod merkt der Mann, was er alles nicht über seine Frau wusste und macht sich auf, ihr Leben und ihre Träume zu verstehen. Gedreht wurde in Japan, im Allgäu und in Berlin. Anfang 2008 soll der Film, in dem auch die Potsdamerin Nadja Uhl spielt, in die Kinos kommen.

Zuerst hat Sabine Greunig das Drehbuch gelesen und sich mit den Figuren bekannt gemacht. Dann hat sie sie in ihren Alltag gelassen, hat recherchiert, hat versucht zu verstehen, was diese Menschen umtreibt. Sie nimmt diese Figuren ernst, tastet sich an sie heran, umkreist sie, bis sie in deren Innerstes vorgedrungen ist. „Ich muss sie verstehen, damit ich deren Charakter in jeder einzelnen Szene darstellen kann.“ Oft verliebe sie sich sogar ein Stück weit in ihre Figuren.

Das Rentnerehepaar in „Kirschblüte“, gespielt von Hannelore Elsner und Elmer Wepper, nennt sie „Felsenpaar“. Mit den Jahren sind die beiden sich immer ähnlicher geworden, grau dominiert ihre Kleidung. Und die Zeit mit all ihren Veränderungen scheint an ihnen abgeglitten zu sein wie Wasser an Felssteinen. Doch jeder Mensch hat Träume, Wünsche und Geheimnisse. Auch das „Felsenpaar“. Und mit Kleidung und äußerlichen Kleinigkeiten will Sabine Greunig diese Träume, Wünsche und Geheimnisse zeigen. Ganz nebenbei und trotzdem wie selbstverständlich, so dass es dem Zuschauer gar nicht auffällt.

Sabine Greunigs Vater war Dokumentarfilmer. Dessen besonderer Blick auf die Dinge hat sie geprägt. Zuerst hat sie beim Film das Bühnenbild interessiert, erst später entdeckte sie die Kostüme für sich. Sabine Greunig lernte bei der Defa Damenmaßschneiderin und studierte dann von 1986 bis 1989 an der Kunsthochschule Dresden Kostümgestaltung. Es folgte ein Modedesignstudium in Berlin. Hier lernte sie 1990 Andreas Dresen kennen, für dessen Abschlussfilm „Stilles Land“ an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg sie die Kostüme entwarf. Eine Zusammenarbeit, die bis heute anhält.

Auf einen eigenen Fundus von Kleidern oder Leihgaben aus den in Babelsberg ansässigen Filmstudios greift Sabine Greunig für die Filme zurück. Manchmal aber muss sie auch neue Kleider kaufen. Und wenn sie dann unterwegs ist in den Geschäften dieser Stadt, blickt sie kritisch auf manche Mitmenschen und deren Kleidungsstil? Sabine Greunig schüttelt wieder mit dem Kopf. Sie, die es versteht, mit kleinsten Nuancen in der Kleidung Charakterzüge von Menschen nachzuzeichnen, zu unterstützen oder zu verstärken, würde sich ein Urteil nie erlauben. Sabine Greunig begeistert diese Vielfalt. Denn jeder Kleidungsstil verrät etwas über den Menschen, manchmal muss man nur genauer hinschauen.

Dirk Becker

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