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Landeshauptstadt: Kleiner Mann ganz groß

Otto Wiesner und seine 95 Jahre Leben

Stand:

Otto Wiesner und seine 95 Jahre Leben Von Jan Brunzlow Die Ohrfeige der Oma im Jahr 1928 hat Otto Wiesner weggesteckt. Denn gegen das, was der Kommunist in den Jahren der Naziherrschaft erlebte, war die Rüge der Oma wegen seines Kirchenaustritts eine Streicheleinheit. Wiesner überlebte die Jahre im Zuchthaus sowie die Konzentrationslager Sachsenhausen und Mauthausen. Nach dem Krieg kam der am 14. August 1910 in Hamborn am Rhein geborene Wiesner nach Potsdam, gestern empfing der nun 95-Jährige seine Geburtstags-Gäste. Humor hat Wiesner: Über Zeiten, deren überlieferter Lebensinhalt wenig humorvoll ist und deren Augenzeugen in die Jahre gekommen sind. 60 Jahre nach Kriegsende wird er dennoch immer wieder an die Zeit im KZ erinnert. „Meine Fröhlichkeit war Medizin für die anderen“, sagt Wiesner, der im Lager für die Verpflegung eines Blockes zuständig war. Überall habe er dagegen die Medizin Fröhlichkeit verteilt, auch wenn es dazu keinen Anlass gegeben habe. 1934 von der Gestapo aufgegriffen und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, wurde er am Nikolaustag, dem 6. Dezember 1941, nach Sachsenhausen gebracht. „Da hat es was mit den Stiefeln gegeben“, erzählt Wiesner 64 Jahre später: und zwar mit den Stiefelspitzen auf die Körper der Gefangenen. Die Art und Weise, wie Wiesner Erlebtes erzählt, ist seine Art der Vergangenheitsbewältigung. In den Vordergrund stellt er sich dabei nicht, vielmehr sei er seiner geringen Körpergröße wegen im Lager der Kleine gewesen, den die Nazis „niedlich gefunden haben“. „Ich bin eine interessante, aber Randerscheinung“, sagte er gestern. Als mutig empfand der Widerstandskämpfer, der die illegale Lagerorganisation politischer Häftlinge unterstützte, andere. Beispielsweise seinen Mithäftling Rudi Grosse. Der habe sich in Sachsenhausen hin gestellt und laut gerufen: „Das ist Barberei, was hier passiert“. Solche Dinge habe sich sonst keiner getraut, so Wiesner heute. Grosse wurde daraufhin zu 50 Stockhieben und Tod durch Erhängen verurteilt. Bücher hat er in der DDR als SED- und FDJ-Funktionär über die Nazizeit geschrieben, beispielsweise „Laßt nicht zu, was wir an Last getragen“. Heute lebt Wiesner nahe einem seiner Söhne in der Gontardstraße in Potsdam-West, ein Dokumentarfilm über sein Leben ist gedreht und wird derzeit fertig gestellt. Ein Gedicht erhielt er gestern von Gratulantin Irene Schwager: „Für ein menschlich friedlich Leben, du hast sehr viel dafür gegeben“, heißt es darin. Anerkennend seiner Geschichte. Die Laudatio auf sein Leben lasse ihn wachsen, sagt Wiesner. Von seinem Humor hat er nichts verloren. jab

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