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Homepage: Klima lässt sich nicht organisieren

GFZ-Chef Reinhard Hüttl zum Start der PNN-Serie im Wissenschaftsjahr „Zukunftsprojekt Erde“

Stand:

Das Jahr 2012 ist vom Bundesforschungsministerium zum Themenjahr „Zukunftsprojekt Erde“ benannt worden. Nachhaltige Entwicklung steht im Fokus. In den PNN stellen Wissenschaftler verschiedener Potsdamer Institute ihre Arbeit dazu vor.

Seit Beginn intensiverer Industrialisierung vor etwa 140 Jahren hat die globale Mitteltemperatur um 0,8 Grad Celsius zugenommen. Außer Zweifel steht, dass neben natürlichen Ursachen erstmalig der Mensch an diesem Prozess in zunehmendem Maß beteiligt ist. Anthropogene Faktoren des Klimawandels sind die intensivierte Landnutzung, insbesondere aber die seit Anfang des letzten Jahrhunderts ständig steigende Nutzung fossiler Rohstoffe und die damit verbundenen Treibhausgasemissionen.

Was sich hier am Beispiel der Klimaänderung noch recht schlüssig darstellt, wird schnell komplizierter, wenn man das Klima nicht als isolierbares Teilsystem auffasst, sondern als eine Schnittstelle im hochkomplexen, nichtlinearen Wirkungsmechanismus des Systems Erde, auf das die ebenfalls nichtlinearen, rückgekoppelten Prozesse in den Subsystemen Atmosphäre, Hydrosphäre, Geosphäre, Biosphäre und Kryosphäre einwirken. Erstmals wirkt der Mensch global spür- und messbar in diesem Geflecht mit, die Anthroposphäre muss also integriert werden.

Diese Betrachtungsweise bedeutet, dass der Gegenstand – unser Planet Erde – beliebig komplex ist. Aber genau diese Betrachtungsweise ist realistisch. Sie bedeutet in der Konsequenz, dass das Klima der Erde ganz prinzipiell nicht von uns organisiert werden kann, eben genau wegen der zahlreichen immanenten Nichtlinearitäten, internen wie externen Wechselwirkungen und Rückkopplungen. Offenbar ist der wirtschaftende Mensch inzwischen zwar zum Geofaktor geworden und damit in der Lage, Einfluss auf die Klimadynamik zu nehmen. Aber die Klimadynamik aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, erscheint aufgrund der Komplexität des Gesamtsystems Planet Erde nicht nur problematisch, sondern praktisch aussichtslos.

Vom Mensch verursachtes Kohlendioxid (CO2) ist einer der Treiber des aktuellen Klimawandels. Die Emission dieses Treibhausgases in enormen Mengen als Folge menschlicher Tätigkeit bedeutet geologisch gesehen nichts anderes als die Umlagerung von Kohlenstoff aus dem Langzeitspeicher fossiler Brennstoffe in den Kurzzeitspeicher der Erdatmosphäre. Die dabei ablaufenden Prozesse und die dadurch verursachten Wirkungspfade sowie die damit wiederum verbundenen Ursache-Wirkung-Wechselbeziehungen sind aber prinzipiell nicht vollständig erklärbar. Daraus resultiert, dass zum einen die Reduktion von anthropogenen Treibhausgasemissionen notwendig ist, dass aber zum anderen aufgrund des sich bereits vollziehenden Klimawandels eine Anpassung an die Wirkungen dieses Klimawandels unvermeidlich ist. Die Reduktion des stattfindenden „Global Change“ auf lediglich die Klimaänderung rückt allerdings die eigentliche Problemstellung häufig aus dem Blickfeld: allein das rasante Bevölkerungswachstum bedeutet, dass unser derzeitiger Umgang mit Rohstoffen und Landflächen global nicht verallgemeinerbar ist. Am Kohlendioxid kann man das exemplarisch durchspielen.

Wir diskutieren heute die Folgen der CO2-Anreicherung in der Atmosphäre infolge einer Rohstoffnutzung, nämlich der von fossilen Brennstoffen, die zu einem bestimmten Zweck, und zwar zur Energiebereitstellung, in vorgegebenen Strukturen – gesellschaftlich, technologisch und ökonomisch – abläuft. Gekennzeichnet ist diese Prozesskette jedoch durch enorme Ineffizienz bei der Rohstoffnutzung. Selbst im Hochtechnologieland Deutschland wird nur ein Drittel der Primärenergie am Ende als Nutzenergie tatsächlich genutzt. Die Diskussion zwischen den hochindustrialisierten Ländern und den Schwellenländern darüber, wer wie viel Kohlendioxid in die Atmosphäre emittieren darf, kann als materielle Metapher für andere, ebenso gravierende Ressourcenineffizienzen aufgefasst werden. Bei einem Anwachsen der Weltbevölkerung auf über neun Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 stellt sich ganz besonders die Frage einer nachhaltigen Nutzung von Rohstoffen. Gerade für die Hochtechnologienationen, aber natürlich auch für die Schwellenländer, liegt hier das eigentliche Entwicklungspotenzial in der Innovation – sowohl mit Bezug auf die Rohstofftechnologien als auch, was den jeweiligen Verbrauch sowie das Recycling anbelangt. Den Geowissenschaften kommt bei diesem Zukunftsprojekt eine Schlüsselrolle zu, denn die Einwirkungen der Anthroposphäre auf das Gesamtsystem Erde können nur in einem integrierten geowissenschaftlichen Ansatz erforscht werden.

Reinhard Hüttl ist Leiter des GeoForschungsZentrums Potsdam (GFZ) und Vizepräsident „Erde und Umwelt“ der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Serie wird im März mit einem Beitrag des Instituts für Agrartechnik fortgeführt.

Reinhard Hüttl

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