Homepage: Klimabotschaften aus der Tiefe der Seen
Sonntagsvorlesung von Dr. Bernhard Diekmann vom Alfred Wegener Institut
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Wenn der Boden unter den nackten Füßen matscht und der Schlamm zwischen den Zehen hindurch glitscht, dann fühlt sich Bernhard Diekmann ganz in seinem Element. Moder auf seine Konsistenz hin zu untersuchen, diese kindliche Entdeckerfreude hat sich der Potsdamer Geologe erhalten und zum Forschungsinteresse ausgeweitet. Dass er mit seinen Bohrungen in Seeablagerungen Jahrtausende zurück in die Erdgeschichte schauen und damit das Klima vergangener Zeitalter rekonstruieren kann, macht ihn zu einem gefragten Spezialisten in der aktuellen Klimadiskussion.
So füllte sich am Wochenende der Musiksaal im Alten Rathaus bis auf den letzten Platz, als Dr. Bernhard Diekmann die Sonntagsvorlesung in der Reihe „Potsdamer Köpfe“ hielt. Junge wie alte Zuhörer interessierte es gleichermaßen, was der Geologe vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in den Sedimenten über den Klimawandel der Erde lesen kann.
Im Idealfall, so der Wissenschaftler, liefern die mehrere Meter mächtigen Ablagerungen zeitlich hochaufgelöste Zeugnisse des Umweltwandels. Biologische Überreste wie fossile Kieselalgen, Zuckmückenlarven, Muschelkrebse und Pollen geben Auskunft über einstige Wassertemperaturen und die den See umgebende Vegetation. Auch mineralische Spuren von abgelagerten Windstäuben und der eingetragenen Schwebefracht von Flüssen und Gletscherschutt sind identifizierbare Klimabotschaften.
Mit anschaulichen Diagrammen beschrieb Diekmann das Auf und Ab in der Temperaturkurve der Erde, den sich über Jahrmillionen vollziehenden Wechsel von nahezu eisfreien Treibhausphasen und den Kühlhausphasen mit bipolarer Vereisung, gesteuert von Kontinentalverschiebung, Gebirgsbildung, Vulkanismus oder auch der Sonnenfleckenaktivität. Selbst in der seit zehntausend Jahren anhaltenden Warmzeit, dem Holozän, durchlebte der Mensch relativ kurzfristige Schwankungen, wie das „Mittelalterliche Klimaoptimum“ zwischen 1150 und 1300 oder die „Kleine Eiszeit“ zwischen 1400 und 1850.
Der dramatische Temperaturanstieg in den vergangenen zwanzig Jahren aber sei vom Menschen mitverursacht, schließt sich Diekmann den Auffassungen der weltweit Alarm schlagenden Klimaforscher an. Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, sollte man von dieser Tatsache ausgehen. Die angerichteten Umweltschäden seien auch so schon schlimm genug und erforderten ohnehin eine radikales Umdenken, mahnt der Geologe.
Wenn Bernhard Diekmann von seinen Expeditionen in entlegene Regionen der Erde berichtet, Naturaufnahmen und Kurzfilme kommentiert, ist ein tief verinnerlichtes Verantwortungsgefühl spürbar. Nach Monaten notwendiger Schreibtischarbeit drängt es ihn stets hinaus. Wochenlang kampierte er mit russischen und deutschen Kollegen in einer winzigen Jagdhütte am Billjach-See im ostsibirischen Werchojansker Gebirge, arrangierte sich im Sommer mit Myriaden beißwütiger Mücken und im Winter mit Tiefsttemperaturen um minus 60 Grad. Gerade erst war er auf Kamtschatka unterwegs, brachte vom Zwei-Jurten-See Sedimentkerne mit nach Potsdam.
Ein jüngstes Forschungsinteresse des AWI führte Bernhard Diekmann im Sommer des vergangenen Jahres ans Ufer des 4200 Meter hoch gelegenen Donggi-Cona-Sees auf dem nordwestlichen Tibetplateau. Seit Langem ist bekannt, dass sich die Klimaverhältnisse in dieser für die asiatische Monsunzirkulation ausschlaggebenden Region während des Holozäns stark veränderten. Warum genau und mit welchen Konsequenzen für die lokalen Ökosysteme und die globalen Zirkulationsmuster, ist weitgehend unbekannt. Gemeinsam mit deutschen und chinesischen Wissenschaftlern wird Bernhard Diekmann nach Antworten suchen, auf dem Grund des Sees und ein paar Meter darunter. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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