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LEIPZIGER BUCHMESSE: Knäckebrot Schwerenot

LEIPZIGER BUCHMESSE „An Fremdsprachen stört den Finnen immer, dass die Sätze alle möglichen überflüssigen Redewendungen und Höflichkeitsfloskeln enthalten. Sie machen es kompliziert und peinlich, eine Sprache zu sprechen, und trüben die Bedeutung des Gesagten.

Von Frederik Hanssen

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LEIPZIGER BUCHMESSE „An Fremdsprachen stört den Finnen immer, dass die Sätze alle möglichen überflüssigen Redewendungen und Höflichkeitsfloskeln enthalten. Sie machen es kompliziert und peinlich, eine Sprache zu sprechen, und trüben die Bedeutung des Gesagten. In Finnland sagt man alles auf möglichst einfache und eindeutige Weise, und dann wartet man ab, wie der andere reagiert. Hat man nichts zu sagen, ist man still.“ Vielleicht hätte Hannu Raittila besser geschwiegen. Denn das, was der 1956 geborene Autor dem Helden seines Romans „Canal Grande“ in den Mund legt, ist trocken wie ein Knäckebrot. Ingenieur Marrasjärvi soll mit einer finnischen Unesco-Delegation Venedig vor dem Untergang retten. Doch nichts klappt wie geplant, das Chaos tobt in den italienischen Beamtenstuben. Kollege Heikkilä nervt mit kulturgeschichtlichen Exkursen – und zu allem Übel friert zum ersten Mal seit dem 13. Jahrhundert dann auch noch die Lagune samt Kanälen zu. Das ist witzig gemeint, doch alles andere als unterhaltsam gemacht. Der Technokratentonfall, in dem der Autor seinen biederen Ingenieur sprechen lässt, nervt schon nach wenigen Seiten. Von diesem tumben Typen möchte man weder mit Details zur korrekten Wasserstandsmessung noch mit touristischen Allgemeinplätzen behelligt werden. Raittila, der das Dilemma wohl bemerkt hat, lässt weitere Personen zu Wort kommen: Doch weder der lebensmüde Kunsthistoriker noch die vulgäre Sekretärin können verhindern, dass selbst den gutwilligsten Finnland- und Italienfreund alsbald das Bedürfnis beschleicht, dieses Buch ganz dezent in den dunklen Fluten des Canal Grande verschwinden zu lassen. Frederik Hanssen Hannu Raittila: Canal Grande. Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Albrecht Knaus Verlag, München. 366 Seiten, 19,90 €. Mit „Santa Evita“, seinem Roman über den Peronismus, gelang dem Argentinier Tomás Eloy Martínez 1995 der internationale Durchbruch. Nun hat er sich eines weiteren Mythos“ seiner Ursprungsheimat angenommen: des Tangos. Die musikalische Gattung ist eng verwoben mit Buenos Aires, jener europäisch geprägten Metropole, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das kulturelle Zentrum Südamerikas war – und bis heute die Synthese Argentiniens bildet. Schon deshalb ist „Der Tangosänger“ eher ein Großstadtroman, dem der Tango wie ein Soundtrack unterliegt. Allerdings interessiert sich Martínez für den frühen, ungeschliffenen Tango aus den Bordellen, bevor ihn die Einwanderer aus Genua salonfähig machten. In dieser Vorliebe folgt Martínez dem nicht nur in Argentinien mythisch verehrten Jorge Luis Borges. Denn der Protagonist, ein New Yorker Fellow, der über Borges promoviert, macht sich auf die Suche nach dem Tangosänger Julio Martel, dessen Stimme besser sein soll als die des legendären Carlos Gardel. So gerät der Roman zu einem metaliterarischen Streifzug durch die rätselhaften Stadtpläne von Buenos Aires, quer durch Raum und Zeit einer kaum zu dechiffrierenden Metropole. Eine Art aktualisiertes „Aleph“: Martels strahlender Gesang ist ein Kondensat aus ungesühnten Verbrechen, politischer Unterdrückung, Korruption und den Sehnsüchten der Argentinier, welche sich Ende 2001 in heftigen sozialen Protesten Luft verschaffen. Martínez erzählt davon in melancholischem Ton, aber auch mit liebevoller, treffsicherer Ironie. Und zeigt, wie sehr seine Landsleute in ihrem Labyrinth gefangen sind. Ein kleines Meisterwerk. Roman Rhode Tomás Eloy Martínez: Der Tangosänger. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. 237 Seiten, 19,80 €.

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