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Eisen ist der Stoff, aus dem die Medaillenträume der Potsdamer Bobanschieber sind: Dafür bringen sie sich am Luftschiffhafen nach den Plänen von Athletiktrainer Jörg Weber in Form.

©  pek

Sport: Kniebeuge mit Zweierbob

In der Potsdamer Anschieberschule wird aus Eisen olympisches Edelmetall geschmiedet

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Verglichen mit einem Marathonlauf ist ein Wettkampf von Kevin Kuske eher kurz. Wenn der Sportsoldat des SC Potsdam am kommenden Sonntag und Montag mit seinem Piloten Thomas Florschütz in der olympischen Zweierbob-Konkurrenz antritt, liegen an den zwei Tagen viermal 1 365 Meter vor ihnen. Weniger als 60 Sekunden wird eine Fahrt dauern, wovon die ersten fünf Sekunden für Kuske die intensivsten sind: Dann wird der 120-Kilo-Koloss wie ein Kraftwerk arbeiten, um das 170 Kilogramm schwere Gefährt über die Startlinie zu wuchten und auf Tempo zu bringen. Kuskes Herz wird bis zum Hals schlagen, die Oberschenkel werden brennen, das Blut wird förmlich kochen

Der 34-Jährige aus Caputh kann so gut wie kaum ein anderer auf der Welt einen Bob anschieben. „Schneller als Usain Bolt“, feierte der „SPIEGEL“ vor zwei Jahren Kuskes Sprintvermögen über 30 Meter. Verglichen mit dem Superstar aus Jamaika war Kuske damals acht Hundelsten Sekunden schneller.

Der fünfsekündigen Explosion am Start eines Bobrennens geht ein monatelanges Athletiktraining voraus. Seine Kraft tankt Kuske – ebenso wie Christian Poser als zweiter Potsdamer Olympiastarter – im Potsdamer Luftschiffhafen. Der Olympiastützpunkt hat sich zu einer nationalen „Muckibude“ für Bob-Anschieber entwickelt. Die „Potsdamer Anschieberschule“, die sich im Jahr 2000 als Bobsport-Sektion des SC Potsdam gründete, gilt inzwischen als Vorbild für Leistungszentren in Erfurt, Chemnitz oder Magdeburg. Neben dem einstigen Leichtathletiktrainer Heinz Rieger hat Jörg Weber einen gewichtigen Anteil daran, dass Anschieber aus Potsdam besonders schnell und kräftig sind. Seit 2010 arbeitet der 49-Jährige als Athletikcoach der Bob-Sektion – mit einer beeindruckenden Bilanz: In den vergangen vier Jahren wurden in den Potsdamer Krafträumen 19 internationale Medaillen geschmiedet.

Zurzeit zählt die Anschieberschule 14 Bobsportler, die meisten kommen von der Leichtathletik, einige vom Rudern. Ein Geheimnis des Erfolges: „Die gute Zusammenarbeit mit den Leichtathletiktrainern“, sagt Weber. Wenn die Kollegen erkennen, dass ein Sprinter, Springer oder Zehnkämpfer keine Perspektive mehr hat, aber sich dennoch durch eine gute Athletik auszeichnet, empfehlen sie einen Wechsel zu den Bobfahrern. Das war beim heutigen Bob-Verbandstrainer Carsten Embach so, der aus der Weitsprunggrube am Luftschiffhafen in den Bob stieg und 2002 Olympiasieger wurde. Kuske war im Juniorenbereich einer der weltbesten Sprinter, auch Poser kommt vom Sprint. Christian Schmacht, der vor wenigen Wochen Junioren-Vizeweltmeister im Zweierbob wurde, begann seine sportliche Laufbahn als Zehnkämpfer.

Während Kuske derzeit in Istanbul seine letzten Trainingseinheiten für Sotschi absolviert, schwitzten Schmacht und Bob-Novize Jan Wilczak gestern in der ehemaligen Fechthalle auf dem Gelände des Olympiastützpunktes. In dem alten Bau steckt der Schweiß ganzer Potsdamer Sportgenerationen, hier stemmten schon Kugelstoßer Udo Beyer oder Speerwurf-Weltrekordler Uwe Hohn ihre Gewichte. Das Material, aus dem hier Medaillen gemacht werden, ist Eisen: Lang- und Kurzhanteln, Arm- und Beinpressen sind das Standard-Equipment der Bobathleten.

Butterfly heißt die Übung, bei der mit zwei Kurzhanteln – ähnlich dem Flügelschlag eines Schmetterlings – trainiert wird. 20-mal drücken Schmacht und Wilczak das 20-Kilo-Gewicht einarmig nach oben: Mit jeder Wiederholung pumpen sich die Oberarme etwas mehr auf, schießt das Blut in den Kopf, werden die Backen dicker. Die Anstrengung entlädt sich in einem Schrei, der die letzte Wiederholung beendet. „Krafttraining steht für uns die ganze Saison auf dem Plan“, sagt Athletikcoach Weber. Zu Saisonbeginn – im April – markieren vor allem Kraftausdauer-Einheiten das Programm. Je näher es an die Wettkämpfe geht, desto mehr wird Maximal- und Schnellkraft entwickelt. Für die fünf Sekunden einer Startphase trainieren die Anschieber über Monate acht- bis zehnmal die Woche. Dazu gehören zwei bis drei Laufeinheiten mit Wiederholungssprints wie 10 mal 100 Meter. Zwei- bis dreimal pro Woche wird Beinkraft trainiert: Dabei machen Top-Anschieber wie Kuske mit 180 bis 200 Kilogramm – also quasi mit einem Zweierbob – auf den Schultern tiefe Kniebeuge. „Und dann gibt es bis zu drei Einheiten für Rumpf- und Oberkörperkräftigung“, gewährt Weber einen kleinen Einblick ins Trainingstagebuch. In der zweiten Saisonhälfte kommen zu den Athletikeinheiten die Trainingsfahrten auf den Bobbahnen hinzu.

Vor allem für Athleten, die zum Bobsport wechseln, entscheidet die Jungfernfahrt, ob sie tatsächlich zum Wintersportler taugen. „Ob sie den Schneid und auch den Mut haben“, wie Weber sagt. Denn die Jagd durch den Eiskanal mit bis zu 155 Kilometer pro Stunde sei alles andere als eine bequeme Kaffeefahrt. „Die Sturzgefahr ist allgegenwärtig und blaue Flecken gibt es definitiv“, weiß Weber aus eigener Erfahrung. In einer Kurve wirken auf die Athleten Fliehkräfte vom Fünffachen des eigenen Körpergewichts – für Kuske heißt das in Sotschi 19-mal Kraft für 600 Kilogramm aufzubringen, um sich synchron mit seinen Vorderleuten zu bewegen und den Bob in der idealen Spur zu halten.

Bis zur Statur eines Modellathleten wie Kuske braucht es Jahre. „Bei den Leichtathleten gibt es ja eher leichte oder athletische Typen“, sagt Weber. Neben einer ausreichenden Schnell- und auch Sprungkraft sowie einem guten Sprintvermögen sei die Fähigkeit, ausreichend Kraft aufzubauen, ein wichtiges Eignungskriterium. Nicht selten müssten Leichtathleten nach ihrem Wechsel zum Bobsport erst einmal Masse aufbauen - „zwischen 15 und 20 Kilo in fünf Jahren“, beschreibt Weber die Entwicklungsdauer bis zum Muskelpaket.

Neben einem schnellen Start und dem Krafteinsatz unterwegs brauchen Bobsportler ihre Muskeln auch für den Transport nach einer Fahrt. „Irgendwie muss der Bob ja von der Bahn“, sagt Weber. Bei zehn Trainingsfahrten pro Woche und vier Durchgängen an einem Wettkampf-Wochenende werden die Bobfahrer also auch zu Lastenträgern. In dieser Hinsicht hat es ein Marathonläufer wesentlich leichter.

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