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Gewusst wie. Nicole Dobrzynski (im Hintergrund) erklärt Frauen, wie sie sich gegen Angreifer wehren können. Im Ernstfall solle man das Überraschungsmoment nutzen, sagt sie. Sie rät Frauen auch zur Vermeidung potenziell gefährlicher Situationen.

© Andreas Klaer

Selbstverteidigung in Potsdam: Knieheber bei Phase Rot

An der Volkshochschule lernen Frauen und Mädchen, wie sie sich bei Angriffen effizient verteidigen können. Ein Besuch im Kurs.

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Die Faustschläge wummern gegen die Schlagpolster, dumpf hallt es durch den Gymnastikraum der Volkshochschule Potsdam. Acht Frauen stehen sich hier paarweise gegenüber und üben den gezielten Schlag mit der geballten Faust. Eine Partnerin hält die Pratze auf Schulterhöhe, während die andere mit ganzer Kraft zuschlägt. Sie kommen aus der Puste, lachen, konzentrieren sich erneut.

„Das sieht schon sehr gut aus“, lobt Nicole Dobrzynski, die den eintägigen „Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurs“ leitet, der an diesem Samstag im Bildungsforum stattfindet. Die zwei jüngsten Teilnehmerinnen sind 17 Jahre alt, die älteste ist 58. Der Kurs ist speziell für Frauen und Mädchen ab 16 Jahren konzipiert und soll nicht nur vermitteln, wie sich Frauen gegen einen Angreifer körperlich zur Wehr setzen und sich aus Notlagen befreien können, sondern thematisiert auch psychologische und rechtliche Grundlagen zum Thema Gewalt.

„Wie fühlt ihr euch jetzt?“, fragt die 32-jährige Dozentin in die Runde. Befreit, ist die mehrheitliche Antwort. „Im alltäglichen Leben schlägt man ja nicht zu“, sagt Ina. Doch durch die Übung werde ihr bewusst, dass sie die Faust im Notfall einsetzen könnte. Eva ist sich ihrer Sache dagegen noch nicht so sicher: „Wenn ich mir vorstelle, jemandem ins Gesicht zu hauen – ich glaube, das könnte ich nicht“, gesteht die 20-Jährige.

Doch so weit soll es möglichst auch gar nicht erst kommen. „Selbstverteidigung beruht auf einem Ampelsystem“, erklärt Kursleiterin Dobrzynski. In der Phase Grün wird eine mögliche Gefahr bereits aus der Ferne erkannt. Dies kann etwa eine Gruppe angetrunkener Männer sein. Vermeiden, also einen anderen Weg wählen, heißt hier die Devise. Auch allein durch einen dunklen Park gehen oder sich nachts in den letzten Wagen der Straßenbahn setzen, hält Dobrzynski für keine guten Ideen. „Seid aufmerksam!“, rät sie den Frauen. Viele gefährliche Situationen ließen sich bereits durch besonnenes Verhalten vermeiden.

In der Phase Gelb geht es für die Frauen bereits darum, sich gegen einen möglichen Angreifer zu behaupten. Und zwar zunächst auf der verbalen Ebene. „Wenn ihr beleidigt und beschimpft werdet, wehrt euch sicher und laut, aber nie beleidigend“, rät Nicole Dobrzynski den Frauen. Ein lautes „Verschwinde!“ zeige dem Angreifer, dass hier jemand steht, der sich zu wehren weiß. „Es ist wichtig, Selbstbewusstsein auszustrahlen“, betont die Dozentin. Ins Visier der Täter gerieten häufig Frauen, die unsicher oder schwach wirken. „Die Polizeistatistik zeigt, dass Frauen, die sich wehren, sich erfolgreicher aus gefährlichen Situationen befreien können“, erklärt die Kursleiterin.

In der Phase Rot schließlich kommt es zum Äußersten – dem körperlichen Angriff. „Dann muss es schnell gehen“, schärft Nicole Dobrzynski ihren Kursteilnehmerinnen ein. „Nutzt den Überraschungseffekt, der erste Schlag muss sitzen.“ Faustschlag, Hammerschlag, Schienbeinratsche, Ellenbogentechnik – das Repertoire an einfachen und effektiven Abwehrtechniken üben die Frauen an diesem Tag ein. Und auch den besonders schmerzhaften Knieheber, mit dem gerade ein männlicher Angreifer an besonders empfindlichen Stellen getroffen wird. „Diese Technik funktioniert eigentlich fast immer“, ermuntert Nicole Dobrzynski die Frauen zum Üben.

„Das Thema Selbstverteidigung ist immer ein aktuelles Thema und wird besonders dann wahrgenommen, wenn in den Medien über Vorfälle berichtet wird“, sagt Nicole Dobrzynski. Nach den Übergriffen am Silvesterabend in Köln und Hamburg sei es allerdings nicht zu panikartigen Reaktionen und übermäßigen Anfragen nach ihren Kursen gekommen. Einen gewissen Trend erkennt sie dennoch: „Mich freut, dass zunehmend Frauen mit ihren Töchtern in meine Kurse kommen“, erzählt die Dozentin, die ihre Kurse in ganz Brandenburg und auch für Kinder anbietet. Denn gerade zwischen 14 und 20 Jahren sei die Gefahr am größten, Opfer eines sexuellen Übergriffes zu werden. Für Mütter sei es beruhigend zu wissen, dass ihre Töchter Mittel hätten, sich zur Wehr zu setzen. „Ich gebe einen Denkanstoß. Die Frauen sollen ihre Kraft austesten und ihr Selbstbewusstsein stärken. Aber ich mache auch deutlich: Ein Tageskurs allein reicht nicht“, sagt die Kursleiterin.

Nachdem die Frauen ihre Kraft an den Schlagpolstern ausgetestet haben, hält Nicole Dobrzynski noch eine besondere Überraschung bereit. Aus ihrer Reisetasche holt sie Holzbretter, stellt zwei senkrecht und legt eines waagerecht darüber. „Die dürft ihr jetzt zerschlagen“, erklärt sie den verblüfften Kursteilnehmerinnen. Zögernd macht Ina den ersten Schritt, kniet sich vor die Bretter, konzentriert sich, schlägt blitzschnell zu. Krachend spaltet sich das Brett, Ina lacht, die Runde applaudiert. Eine nach der anderen wagt sich an die Bretter. Und alle sind erfolgreich. „Wie fühlt Ihr Euch jetzt?“, fragt Nicole Dobrzynski. "Stark", sagt Eva und lächelt selbstbewusst.

Heike Kampe

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