Homepage: Knoten, die sich selbst knüpfen
Am Institut für Polymerforschung in Teltow entwickeln Wissenschaftler völlig neuartige Kunststoffe
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Materialforscher aus der ganzen Welt schauen derzeit nach Teltow. Im Institut für Polymerforschung entwickeln Wissenschaftler völlig neuartige Kunststoffe. Durch äußere Reize erinnern diese sich an ihre ursprüngliche Form. Dem Leiter des Instituts für Polymerforschung am GKSS-Forschungszentrum in Teltow, Andreas Lendlein ist ein Fund geglückt, der nicht nur die Medizintechnik, sondern auch unseren Alltag revolutionieren könnte. Er und sein Forscherteam haben einen Kunststoff geschaffen, der seine Form ändert, sobald er in ein Magnetfeld gebracht wird. Die Anwendungsmöglichkeiten der Entdeckung sind bestechend. Chirurgische Nähte oder Implantate, die im Körper wie von Geisterhand in die gewünschte Form gebracht werden. Knoten, die sich selbst knüpfen. Oder die unerfreuliche Blechbeule im Kotflügel des Autos, die sich scheinbar von selbst repariert.
„Unsere Entwicklung basiert auf einer Kombination von molekularer Architektur und maßgeschneiderten Verfahren, die wir auf viele Kunststoffe übertragen können“, sagt Andreas Lendlein. Seit einigen Jahren beschäftigt sich der habilitierte Chemiker, der seit 2002 das Teltower Institut leitet, mit Kunststoffen, die ein so genanntes Formgedächtnis besitzen. Das Besondere der Werkstoffe, auch Shape-Memory Materialien genannt: Sie können sich ihre ursprüngliche Gestalt „merken“.
Das funktioniert so: Das Material ist zwar beliebig formbar, kann aber durch einen Reiz, wie beispielsweise Wärme, seine ursprüngliche Gestalt wiederherstellen. „Wir erzielen diese Eigenschaft durch den molekularen Aufbau“, erklärt der Materialforscher. Das Polymer besteht aus Molekülketten, die von so genannten physikalischen Netzpunkten – zum Beispiel winzig kleine Kristalle – zusammengehalten werden. Diese legen die Ursprungsform des Materials fest. Bei einer bestimmten Temperatur werden die Kettensegmente durch Anlegen einer äußeren Spannung orientiert und behalten beim Erkalten die neue Gestalt. Wird das Material nun erneut erwärmt, nimmt es automatisch seine Ausgangsgestalt an. Auf diese Weise kann das Polymer auf einen bestimmten Formzustand, den es erinnern soll, programmiert werden.
Dieses intelligente Verhalten von Stoffen ist seit längerer Zeit bekannt. Für Andreas Lendlein, seit vier Jahren Professor für Materialien in den Lebenswissenschaften an der Universität Potsdam, lag das enorme Anwendungspotenzial dieser Materialeigenschaft schon während seiner wissenschaftlichen Arbeiten in Boston und Aachen auf der Hand. „Die neue Herausforderung lag aber darin, multifunktionelle Materialien herzustellen“, sagt der erst 36-jährige Forscher heute. Also etwa einen Werkstoff mit Formgedächtnis zu entwickeln, der obendrein biologisch abbaubar ist. Eine Kombination, die revolutionäre Möglichkeiten für die Medizintechnik berge. Noch bevor Lendlein die Leitung am Teltower Forschungszentrum anfing, gelang ihm während seiner Habilitation an der RWTH Aachen sein erster Durchbruch.
Im renommierten US-Wissenschaftsmagazin Science stellte er im Mai 2002 zusammen mit dem amerikanischen Professor Robert Langer vom Massachusetts Institute of Technology seine Forschungen vor. Sie hatten an Ratten einen Polymerfaden für chirurgische Nähte getestet. Eine Wunde wurde zunächst lose vernäht und zog sich nach einer Erwärmung auf etwa vierzig Grad Celsius von selbst zusammen. Das Material wird in einem vorgegebenen Zeitraum abgebaut und löst sich schließlich auf.
Diese Form der Biomaterialforschung setzt Andreas Lendlein nun im Teltower Institut gezielt fort. Er richtet sein Hauptaugenmerk auf die Erforschung von Kunststoffen, die zeitweise im Körper „eingepflanzt“ werden, um Heilungsprozesse zu beschleunigen. „Die Polymere können zum Beispiel als Hilfsmittel dienen, wenn neues Gewebe nachwachsen muss“, so der Chemiker Bei Verletzungen oder Verbrennungen könne ein biologisch abbaubarer Polymerschaum zeitweise eine Art Brücke im geschädigten Zellgewebe bilden. „Ich will einen Weg finden diese Form der regenerativen Medizin in die Praxis zu bringen“, formuliert der Forscher sein Ziel. Wichtig ist dabei die enge Kooperation mit Kliniken an der Charité.
Bis die bioresorbierbaren Materialien in den OPs Anwendung finden, werden allerdings noch einige Jahre vergehen. „Medizinische Zulassungsverfahren sind sehr langwierig“, erklärt Lendlein. Denn Risiken für den Menschen, wie etwa mögliche toxische Effekte durch den Stoff, müssen zu 100 Prozent ausgeschlossen sein. Noch in diesem Jahr will der Institutsleiter klinische Studien beginnen, um das neue Nahtmaterial an Patienten zu testen. Eine weitere Herausforderung liegt in der Herstellung der Polymere. Sie ist aufwändig und kostenintensiv. Zwei nicht gerade kleine Hürden, die Lendlein nehmen muss, um die Biomaterialien zur Marktreife zu bringen.
Tanja Greiner
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