Landeshauptstadt: Kontrovers diskutierte Befreiung
Ehrendes Gedenken zum Kriegsende vor 60 Jahren / Verschiedene Sichten und Kohlsuppe nach Omas Rezept
Stand:
Ehrendes Gedenken zum Kriegsende vor 60 Jahren / Verschiedene Sichten und Kohlsuppe nach Omas Rezept „Frieden ist die Verpflichtung, die wir aus den Händen der Nachkriegsgeneration mit in die Zukunft nehmen müssen“, sagte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs anlässlich des Gedenkkonzertes in der Nikolaikirche am Abend des 8. Mai, an dem in vielfältiger Weise des Kriegsendes vor 60 Jahren gedacht worden war. Und wenn er auch den 8. Mai den „Tag der Befreiung von einem grausamen und mörderischen System“ nannte, so versuchte er doch auch, die Nachkriegsereignisse in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zu benennen. Man habe zurzeit Tage des unterschiedlichsten Gedenkens zu absolvieren, erklärte er, vom Bombardement Potsdams bis zum Jahrestag des Potsdamer Abkommens, der noch bevorsteht. Wichtig sei es, trotz der unterschiedlichen persönlichem Erlebnisse um Versöhnung zu bitten. Man dürfe nicht das Unrecht, das durch Sowjetsoldaten geschah, gegen die von Nazis verübten Gräuel aufrechnen. Das sahen offenbar nicht alle so. Am Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz hatten sich gestern um 10 Uhr vor allem die Genossen der PDS und der SPD eingefunden, die Fraktion Die Andere und die DKP waren vertreten, die jüdische Gemeinde hatte Vertreter geschickt und die russische Botschaft. Der Sowjet-Kriegsveteran Victor Zemliansky forderte: Homo sapiens komm zu dir. Wir leben auf einem der schönsten Planeten und haben alles, was wir brauchen. Was wir wollen, haben wir noch nicht überall: Frieden!“ Aber weder CDU noch die Bündnisgrünen konnten sich mit einem Tag der Befreiung anfreunden und hatten keinen Blumengruß geschickt. Auch die Bundeswehr sagte kurzfristig trotz Ankündigung ab. Der Vorsitzende der Brandenburgischen Freundschaftsgesellschaft e. V. Siegfried Rabenau bedauerte, wie „ideologisch verbrämt der Umgang mit der Geschichte“ noch immer ist. Man müsse jedoch gegen das Vergessen immer neu ankämpfen. Erinnerung zum Anfassen und Aufessen gab es ab 11 Uhr im Potsdam-Museum in der Benkertstraße 3. Verbunden mit dem Museumstag war der 8. Mai Anlass für Sonderführungen durch die Ausstellung „Kohldampf und Bombentrichter“. Zum Museumsbesuch fanden sich an die 200 Interessierte ein und kosteten, was ihnen die Lehrlinge des Seminaris-See-Hotels als Nachkriegskost vorsetzten. Die war allerdings etwas geschönt, leckerer jedenfalls als es die Notlage vor 60 Jahren zuließ, denn schließlich wollten die Koch-Lehrlinge ihre Suppen, Kohlrouladen und Arme Ritter auch verkaufen. „Wir haben in alten Kochbüchern gestöbert“, erzählte Raik Nebel, Azubi im 3. Lehrjahr, haben Großeltern befragt und uns dann die Gerichte zusammengestellt. Mit sichtlichem Spaß für alle Beteiligten, für die Jungköche, die Esser und fürs Museum. Das bekommt den Erlös aus dem Essenverkauf und will damit seine Postkarten-Sammlung vervollständigen. Bei der Podiumsdiskussion um 16 Uhr mit Vertretern des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam ging es dann wieder kontrovers zu. Dabei war es nicht so sehr die von Dr. Jürgen Danyel vertretende Ostsicht auf den Tag des Kriegsendes, die Widerspruch auslöste. Der in der DDR groß gewordene Wissenschaftler verstand es, zu differenzieren und zu erläutern, wie ein Gedenktag zum Mythos veräußerlicht wurde und sich von den tatsächlichen Erfahrungen der von den Sowjets „Befreiten“ entfernte. Der in Marianske Lazne (Marienbad) geborene Danyel operierte weniger mit Zahlen denn mit der Gefühlslage der Betroffenen und berichtete, wie sich die Sowjets auch für ihn beim Einmarsch in Tschechien von angeblichen Befreiern in Besatzer verwandelten. Jan-Holger Kirsch aus Herfurt zeichnete dagegen den „erheblichen Bedeutungswandel“ nach, den der 8. Mai in der Bundesrepublik durchmachte, von der völligen Negierung in den Nachkriegsjahren über eine dämonisierte Sicht auf die Nazis, die die guten Deutschen verführten, bis zur Benennung des Datums als Tag der Befreiung durch Richard von Weizsäcker 1985. 80 Prozent der Deutschen identifizierten sich inzwischen nach neuester Umfrage damit. Das allerdings beschwor den ärgerlichen Protest des Potsdamer Historikers Hartmut Knitter herauf, der ein totalitäres System nur durch ein anderes abgelöst sah und das nicht als Befreiung bezeichnen konnte.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: