Landeshauptstadt: Krach, Keksdosen und klingende Kröten
2350 Kinder besuchten gestern in Golm die Vorlesungen der vierten Potsdamer Kinderuniversität
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Kinderprogramm im Hörsaal? Auf keinen Fall. Physik-Professor Reimund Gerhard macht keine Ausnahme für die fast 100 Acht- bis Zehnjährigen, die erwartungsvoll vor ihm sitzen. „Das sind alles Versuche, die ich auch meinen Studenten zeige“, sagt er. Aber die hatten gestern noch Semesterferien, die Uni gehörte ganz den Kindern. 87 Schulklassen aus 35 Schulen aus Potsdam und Umgebung waren auf dem Campus Golm unterwegs – mit eigens angefertigten Studentenausweisen. 2350 Kinder lauschten 14 Professoren und Dozenten – nicht alle auf einmal, sondern in zwei Schichten um 9 und um 11 Uhr. Sie besuchten Vorlesungen über Kinderrechte, Gesetze, Dinosaurier, Steine oder Licht.
Das Thema bei Reimund Gerhard: „Physik liegt in der Luft.“ Der Professor hat nicht nur seinen Kollegen Lothar Neumann, sondern auch seine Frau Christine Ludwig mitgebracht, denn sie ist Musikpädagogin. Denn – der Titel verrät es – es geht um Musik oder besser um den Schall. Im Hörsaal haben sie Kameras und Mikrofone aufgebaut, vorn an der Tafel steht ein Synthesizer. Auf dem Versuchstisch stehen mehrere Gläser und Schüsseln mit Wasser, auf dem Beitisch daneben liegen Flöten, Trommeln und eine Keksdose.
Eigentlich könnte es jetzt losgehen. Doch statt Physik liegt erst einmal Krach in der Luft. Die Kinder kreischen, johlen, klatschen und trampeln. Sie haben die Bildschirme an der Decke entdeckt, die an ein Oszilloskop angeschlossen sind. Die Kinder können darauf ihren eigenen Krach sehen – als zackiges, umhertanzendes Geknäuel. Von Gerhards freundlichem, aber bestimmten „Bitte nicht stören!“ lässt sich niemand beeindrucken. Der nächste Versuch des Professors: „Die Wellen da, zeigen Euren Schall“, erklärt er. „Mal sehen, ob Ihr auch eine Linie hinkriegt, da müsst Ihr aber ganz still sein!“ Und prompt schließen sich 100 Münder. Gerhards erstes Experiment an diesem Tag ist geglückt.
Die Kinder blicken konzentriert nach vorn. Der 9-jährige Ivo aus der Neuen Grundschule in Potsdam hat so vorher noch nie etwas über den Schall gehört. „Das ist alles neu für mich“, sagt er. Einige schreiben eifrig mit, was Reimund Gerhard und Christine Ludwig ihnen erzählen. Die Musikpädagogin bastelt aus der Keksdose und einem Gummiband eine Gitarre, zeigt ihnen warum Instrumente Musik machen. Und der Professor holt eine große Holzkröte hervor. „Das ist Rega“, stellt er sie den Kindern vor. Wenn er mit einem Stab über Regas gehöckerten Rücken streicht, erklingt Rega. Gerhard erklärt wieso, er erklärt wie das mit dem Resonanzkörper funktioniert und wieso die Kröte ihren Mund braucht. Irgendwo muss der Schall ja raus. „Das ist genauso bei Euch, wenn Ihr sprecht.“
Der Physiker lehrt zum ersten Mal an der Kinderuniversität, die in diesem Jahr schon zum vierten Mal stattfindet. „Es macht Spaß“, sagt er. Das glaubt man sofort, denn die Kinder sind begeistert und zeigen das auch: „Das ist ja krass“, rufen sie, als sein Kollege Neumann das Wasser in der chinesischen Spezialschale hochspritzen lässt – nur indem er mit den Händen die beiden Henkel der Schüssel reibt. Dieser Versuch beeindruckt auch Ivo am meisten. Der Junge hat nach der Vorlesung noch lange nicht genug von Physik. Er stürmt die Treppe des Auditoriums herunter und fragt aufgeregt: „Und warum geht der Schall nicht durch eine schalldichte Mauer?“ Die anderen wollen mit den Versuchsaufbauten spielen und dürfen. Also doch ein wenig Kinderprogramm? Nein, sagt Gerhard. Das machten seine Studenten auch immer. Aber Rega, die Kröte, die sei sonst nicht dabei.
Juliane Wedemeyer
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