Landeshauptstadt: Kraftakt eines Kraftlosen
Heinz Koschan hat über die Selbsttherapie nach einem Schlaganfall geschrieben
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Heinz Koschan hat über die Selbsttherapie nach einem Schlaganfall geschrieben Von Günter Schenke Die wenigen Minuten vor 23 Jahren bestimmen das Leben von Heinz Koschan bis heute. „Als ich mich bückte, kriegte ich einen Schmerz da oben“. Koschan berührt mit der Hand in die weißen Haare seiner linken Kopfseite und sagt: „Als wenn eine Eisenkralle das Gehirn packt.“ Als dieser Schmerz, den er in dieser Form noch nie erlebt hatte, auftrat, habe er „aus Blödsinn“ gedacht: „Da hat du wohl einen Schlaganfall.“ Und als der Schmerz aufhörte, war Heinz Koschan gelähmt. „Die ganze rechte Körperseite vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen funktionierte nicht, blieb vollkommen reglos. Er konnte nicht mehr sprechen. Die Katastrophe traf einen Mann, der sich als Sportlehrer das ganze Leben lang bewegt hatte, für den der Umgang mit dem eigenen Körper eine Art Elixier war. Daher lag die Frage nahe, die er sich alsbald stellte: „Was kann ich als ehemaliger Sportlehrer gegen meinen miserablen Zustand selbst unternehmen?“ „Mein Erkennen, dass alles, was ich vor der Katastrophe im Gedächtnis hatte, noch abrufbar war, gab mir viel Mut, den Kampf gegen mein gewaltiges Handicap aufzunehmen“, berichtet Koschan. Vielleicht liegen hier die Wurzeln für seine „Sucht“, zu schreiben. „Als ich den Entschluss fassen wollte, meine Erlebnisse aufzuschreiben, stockte ich erst, denn ich konnte ja gar nicht mehr schreiben“. Dem Rechtshänder war gewissermaßen die Schreibhand abhanden gekommen. Den Ausweg fand er am Computer. Auf der Tastatur des Rechners schrieb er seine Jugenderinnerungen der letzten Kriegswochen nieder. „Der Hölle entronnen“, ist der Titel des Bandes, den Koschan auf eigene Kosten drucken ließ. Er beschreibt darin sein Leben als 17- bis 19-Jähriger. „Dieses Schreiben in Erzählform dürfte wohl der Höhepunkt meiner wieder erlangten Konzentrationsfähigkeit sein“, sagt er heute und erinnert sich an Zeiten, in denen er schon nach wenigen Minuten Gespräch abbrechen musste, um sich auszuruhen. „So weit wie ich gekommen bin, ist bisher kein Mensch gekommen - das haben mir auch die Ärzte bestätigt“, bemerkt Koschan ohne Anflug von Überheblichkeit über das erreichte Stadium seiner körperlichen und geistigen Wiederherstellung. Über den Kampf mit seinem Körper und mit sich selbst gegen die Lähmung berichtet sein zweites Buch, dessen Manuskript dieser Tage fertig wurde. „Als Hilfe für Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben“, will er die Niederschrift verstanden wissen. Ob sie jemals gedruckt wird, weiß er noch nicht. „Unermüdlicher Lebenswille“ überschreibt er seinen Bericht. Der Leser erfährt, wie der rechtsseitig Gelähmte zwei bis drei Tage nach dem „Krallenschmerz“ ein fast unmerkliches Zucken im Kniegelenk spürte. „Da ist noch eine lebende Faser“, sagte er sich und fasste neuen Mut. Von den unsäglichen Mühen ist zu lesen, dem rechten Arm vom Schultergelenk bis in die Finger wieder Leben zu geben, von Gehübungen „wie bei jemandem, der eine Prothese hat“. Koschan zeigt die Spirale eines Expanders, den er mittels Schlaufe am Fuß eines Schrankes seiner Wohnung in der Nansenstraße befestigt hat: „Damit habe ich das Bein trainiert.“ Sechsmal am Tag übte er auf der Matte, sechsmal eine Dreiviertelstunde. Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf waren vor dem Schlaganfall Koschans Steckenpferde; auf diesem Gebiet wirkte er im damaligen Bezirksfachausschuss Potsdam. Im siebenten und achten Jahr nach dem Schlag konnte er schon wieder fünf Kilometer Geländelauf im Park Sanssouci leisten. Bis zum Sprint hat der passionierte Sportler sein Training getrieben: In der Leichtathletikhalle am Luftschiffhafen unterwarf er sich der „fliegenden Zeitmessung“, um wieder Schnelligkeit zu kriegen. Koschan erzählt, wie wichtig das Schwimmen für die Rehabilitation ist. Selbst konnte er bereits zwei Jahre nach dem Schlaganfall achtmal hundert Meter im Wasser zurücklegen, jeweils mit einer kleinen Pause dazwischen. „Als ich 800 Meter durchschwamm, musste ich alle Blutdruckmedikamente absetzen“, beschreibt er den Therapieerfolg. „Ich habe Dinge erlebt, die ich einfach aufschreiben muss“, sagt Koschan zur Motivation für die vielen Nächte am Computer, denen noch viele weiter folgen, denn auf fünf Bände hat er sein Lebenswerk konzipiert.
Günter Schenke
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