MITgefühlt: Kurze Spanne
Was bleibt aus der Ferne von dem Potsdamer Charme? Die Schiffbauergasse, Sanssouci, Einkaufspassagen, Kirchen, Moscheen, zukünftige Synagogen, Tempel und Schlösser?
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Was bleibt aus der Ferne von dem Potsdamer Charme? Die Schiffbauergasse, Sanssouci, Einkaufspassagen, Kirchen, Moscheen, zukünftige Synagogen, Tempel und Schlösser? Oder sind es vielmehr die Seewege, die Inseln und das Wasser? Man kann es kaum in Worte fassen. Und genau das versüßt das Herz. Der Ladenbesitzer erzählt. Beinahe hätte der mächtigste aller Boten, der Tod, die Fackel seines Lebens innerhalb weniger Stunden gelöscht. Beim Zuhören ist mir fast der Boden unten den Füßen entzogen worden. Dabei wimmelt der Laden von stilvollen, eleganten Gegenständen, wie ein Fass ohne Boden, und er selber wirkt so dynamisch und voller Lebensfreude. „Kurz, ach kurz ist diese Spanne Leben!“, bemerkte vor zwei Jahrhunderten die Potsdamer Dichterin Karoline Rudolphi. Stellen Sie sich vor, sie gehen in ein Geschäft und freuen sich schon auf das herzliche Willkommen, auf Gespräche, auf die Schönheit dessen, was Sie gegebenenfalls dank guter Ratschläge kaufen dürfen. Und es ist niemand mehr da. Meine Gedanken gehen zu seiner Frau und ein eisiger Schauder läuft mir über den Rücken. Sie führen das Geschäft mit so viel Hingabe, Aufmerksamkeit und unternehmerischen Geist. Ich habe sie beide immer dafür bewundert, dass sie ihr Leben, Liebe und Geschäft zusammen gestalten können. Der Ladenbesitzer erklärt mit beruhigender Stimme: „Jetzt aber ist das Laufen gut, Sport ist gut...“.
Noch unter dem Einfluss dieser Eindrücke führte mich mein Weg in die S-Bahn. Ein junger Mann, der neben seiner Freundin saß, sah mir über die Schulter. Ich habe ihm meine Broschüre über Existenzgründungen zum Lesen angeboten. Er erzählte mir, es möchte gerne Juwelenschmied werden. Besonders hat ihn das Kapitel über Finanzierungsmöglichkeiten interessiert. „Geld ist das Wichtigste“, betonte er. Diese Aussage war wie eine Pandorabüchse, die eine Welle anderer Gedanken entfliehen lässt. Jedes Leben ist überflüssig, da keines bisher die Laufbahn der Planeten geändert hat - und doch so unentbehrlich. Als er ausstieg und mir „Tausend Dank“ zurief, und seine Freundin lächelnd „Tschüss“ sagte, dachte ich: Die Broschüre hat er mir zurückgegeben, Geld habe ich den beiden keines gegeben, höchstens ein Stück meiner Leidenschaft und Hoffnung. Und einen glücklichen Eindruck machen die beiden auch. „Macht stets wacker zum Genuss“, schrieb die Dichterin.
Plötzlich verstummte mir die Sprache. Die Gedanken blieben still. In der Zeitung, im Netz und in den Gesprächen erfuhr ich die erschütternde Nachricht: Das kleine Mädchen weilt nicht mehr auf der Erde. Wenn ich einen Stern am Himmel sehe, wandern meine Gedanken zu dir und zu allen Menschen, die du ins Herz geschlossen hattest und die dich lieben. Manchmal wissen wir, dass etwas Konsequenzen haben kann und tun es doch. Welche Macht hat die Erkenntnis? Nur um etwas Stromkosten zu sparen, wurde eine Ampel ausgeschaltet. Dann passierte der tödliche Unfall. Geld kann durchaus das Wichtigste sein, wenn der dünne Faden eines einzigen, fröhlichen Lebens vom Leuchten einer Ampel abhängt.
Marianne Ballé Moudoumbou
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