Landeshauptstadt: L. Wollersheim & R. Rittinghaus: Die verlorenen Akten – letzter Teil
An dieser Stelle wird heute der letzte Teil einer der zwei Gewinnergeschichten des Potsdamer „Storytausch“-Wettbewerbs veröffentlicht. In den nächsten Monaten wollen wir euch hier noch die zweite Sieger-Story „Einmal und immer wieder“ präsentieren.
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An dieser Stelle wird heute der letzte Teil einer der zwei Gewinnergeschichten des Potsdamer „Storytausch“-Wettbewerbs veröffentlicht. In den nächsten Monaten wollen wir euch hier noch die zweite Sieger-Story „Einmal und immer wieder“ präsentieren. Doch zunächst „Die verlorenen Akten“: Darin lassen die Autoren Lea Wollersheim und Robert Rittinghaus ihre Figur Phillip an der Geschichte seiner Familie zweifeln: Nach einem Umzug und mit Hilfe seiner neuen Klassenkameradin Verena findet er heraus, dass sein Opa ein berüchtigter Nazi–Richter war und kurz vor Kriegsende hochrangige Diener des Dritten Reiches verurteilte und so „Täter“ zu „Opfern“ machte – und sie später deswegen mit hohen Geldsummen erpressen konnte. Als aber Phillip seine Eltern mit diesen Erkenntnisse konfrontiert, reagieren die unerwartet: Er dürfe keiner Menschenseele etwas sagen, weil sonst sein finanziell sorgenfreies Leben enden würde.
Phillip hatte das Gefühl, einer der berühmtberüchtigten Elf-Meter-Schüsse seines Kumpels Vincent habe seinen Magen getroffen. Hilflos stand er vor seinen Eltern. Oh Gott! Sie wussten es. Sie wussten es die ganze Zeit. Opas Erpressungen sein Tod das Erbe das Haus der Neuanfang hier ihr Leben. Alles klebte. Alles Lügen. Er rannte in sein Zimmer, schloss ab und hörte seine Eltern diskutieren. Das war zuviel. Hemmungslos liefen die Tränen über sein Gesicht.
Am nächsten Tag wartete Verena ungeduldig am Schultor. Doch nach15 Minuten verlor sie schließlich die Lust und ging zu den anderen in die Klasse. Philip kam zu spät. Kurz nach dem Lehrer schlüpfte er in die Klasse und schaute die ganze Stunde angestrengt in eine andere Richtung. Das ging den ganzen Tag so. Verena konnte das Unterrichtsende kaum erwarten. „Was wolltest du mir denn gestern so spät noch Wichtiges sagen? Ich hatte vielleicht Stress mit meinem Alten!“. Phillip antwortete „Och Nichts Besonderes. Ich ich wollte nur mal Hallo sagen. Na dann. Ich muss zum Bus.“ Phillip ging schnell - aber doch so langsam, dass es nicht nach Flucht aussah, zur Bushaltestelle. Verena blieb angesäuert stehen. „Da stimmt was nicht. Da stimmt ganz gewaltig was nicht. Wenn du glaubst, du kannst mich so abspeisen! Mit mir nicht.“
Als Phillip um die letzte Häuserecke bog, erschrak er. Vor seinem Haus standen drei Streifenwagen. Sein Herz schlug bis zum Hals, als seine Mutter ihn mit den Worten in Empfang nahm: „Du glaubst es nicht. Bei uns wurde heute Mittag eingebrochen. Es sieht aus wie bei Hempels unterm Sofa. Alles durchwühlt.“ Auf Phillips fragenden Blick: „Keine Panik. Scheinbar fehlt nichts. Auch dein Computer ist noch da. Aber schau“ doch lieber mal noch mal nach.“ Phillip drängelte sich an zwei Polizeibeamten vorbei in sein Zimmer.
Ein Griff und er wusste, was fehlte. Die Akten! Und genauso schnell wurde ihm bewusst, wer von den Akten außer ihm und seinen Eltern wusste: Verena. Blitzschnell stieg Phillip auf sein Fahrrad. Als er an ihrer Haustür klingelte, machte Verena sofort auf: „Hi, das trifft sich. Wollte gerade zu dir.“ „Das kannst du dir sparen. Hör zu, bei mir wurde eingebrochen und das einzige, was fehlt, sind die Akten.“ brüllte Phillip. Verena antwortete erschrocken „Damit habe ich nichts zu tun!“. Phillip wurde noch wütender: „Das kannst du deinem Großvater erzählen. Mir nicht!“. Verena riss die Augen noch weiter auf. Leise sagte sie dann: „Eigentlich habe ich nur dem davon erzählt. Aber, wieso sollte er denn etwas damit zu tun haben?“ Phillip wurde noch ungehaltener: „Ja, glaubst du, das war ein Team aus dem Kindergarten?“„Aber Opa? Nie und nimmer!“ Verena war trotzdem verunsichert. „Weißt du. So etwas habe ich bis zur vergangenen Woche auch geglaubt.“ Phillip wurde gemein. „Vielleicht stammen ja ein paar von den Zahlungen von deinem Großvater. Vom Alter könnte es ja wohl hinhauen.“ „Hast du sie noch alle???“, Verena drehte sich um und verschwand.
Am späten Nachmittag kam Phillip zu Verena. Er wollte sich für seine Gemeinheiten entschuldigen. „Du Verena was soll ich sagen es tut mir leid.“ „Du brauchst dich nicht entschuldigen.“ Verena war sehr kalt. „Wenn ich meinen Eltern glauben soll, dann war Großvater ziemlich überzeugt von diesem ganzen Nazi-Mist. Und Offizier war er auch.“ Phillip setzte sich überrascht auf die Treppenstufen. „Jetzt schnapp“ mal nicht über!“. Verena blieb ganz ruhig. „Mach ich nicht. Es ist nur so, als ich ihm von unseren Entdeckungen erzählt habe, wurde er ganz weiß; dann war er ruhig. Er meinte, wir spinnen uns da etwas zusammen. Später aber wollte er ganz genau wissen, seit wann ihr hier seid und wo du wohnst und so“. Verena setzte sich neben Phillip auf die Treppe. Ziemlich lange saßen sie so nebeneinander. Irgendwann fragte sie „Was machen wir jetzt?“. Phillip antwortete nicht gleich. „Nichts.“ „Nichts?“. „Nichts!“.
Drei Monate später – vor dem Haus von Phillip stand der Möbelwagen – gaben sich Phillip und Verena die Hand. „Tschüss. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann einmal wieder.“ Ihm saß ein Kloß im Hals. „Sei froh, dass dein Vater einen neuen Job gefunden hat.“ „Hhmm. Stimmt.“ Phillip kletterte in den LKW und fuhr zwei Minuten später los. Verena blieb allein am Straßenrand. Tränen kullerten ihr über das Gesicht. Wieder Stille – absolute Stille.
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