zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: L. Wollersheim & R. Rittinghaus: Die verlorenen Akten – Teil 2 von 5

An dieser Stelle wird seit der vergangenen Woche die erste Gewinnergeschichte des Potsdamer Storytausch-Wettbewerbs in fünf Teilen veröffentlicht. Sie heißt „Die verlorenen Akten“ und kommt aus der Feder von Lea Wollersheim und Robert Rittinghaus.

Stand:

An dieser Stelle wird seit der vergangenen Woche die erste Gewinnergeschichte des Potsdamer Storytausch-Wettbewerbs in fünf Teilen veröffentlicht. Sie heißt „Die verlorenen Akten“ und kommt aus der Feder von Lea Wollersheim und Robert Rittinghaus. Die beiden Autoren sind Schüler des Potsdamer Schiller-Gymnasiums. Im ersten Teil ihrer Geschichte hatte Phillip mit seiner neuen Mitschülerin Verena ein Referat über das Dritte Reich vorzubereiten. Phillips Mutter empfiehlt einen Atlas aus der Zeit, der auf dem elterlichen Dachboden liegen soll. Doch stattdessen finden die beiden Schüler in einer Kiste mehrere Zeitungsartikel über Phillips verstorbenen Opa – der offenbar ein berüchtigter Nazi-Richter war. Phillip ist völlig überrascht und möchte nun am Abendbrottisch seine Eltern zur Rede stellen.

„Was ist los?“, fragte Phillip. „Glaubt ihr, ich höre auf zu fragen, nur weil ihr stumm spielt? Ich habe den Zeitungsartikel auf dem Dachboden gefunden. Ich will wissen, was hier los ist.“ Phillips Mutter tupfte sich mit der Serviette nervös die Lippen ab. Phillips Vater guckte ihn ernst an. Es schien, als würde er nachdenken, wie viel er erzählen sollte. Schließlich sagte er: „Dein Opa war kein besonders netter Mann. Deine Mutter konnte seine Anwesenheit nie ertragen.“ „Du konntest ihn noch weniger leiden“, sagte Phillips Mutter. „Für uns ist er schon vor zwanzig Jahren gestorben, deshalb haben wir euch nichts von ihm erzählt“, sagte sein Vater, „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ „Und es lag nicht daran, dass er früher mal Richter bei den Nazis war?“ „Das ist über 60 Jahre her, das interessiert keinen Menschen mehr“, sagte der Vater und nahm sich noch ein paar Kartoffeln nach. Phillip glaubte ihnen nicht und versuchte noch mehr Informationen zu entlocken, doch seine Eltern aßen stumm weiter und verloren kein Wort mehr über die Sache.

Am nächsten Tag ging Verena wieder mit Phillip nach Hause, denn was das Referat anging, waren sie noch kein Stück weitergekommen. Phillip erzählte ihr, was die Eltern über den geheimnisvollen Opa gesagt hatten. „Da stimmt doch was nicht“, sagte Verena, „vielleicht sollten wir uns mal die Akten auf dem Dachboden genauer anschauen.“ Phillip hatte nichts dagegen, denn Verena schien nicht nur besonders nett zu sein, sondern sah auch noch verdammt gut aus. Letzte Nacht hatte er sie im Traum geküsst, und wenn er ehrlich war, hätte er nichts dagegen, das im wahren Leben zu wiederholen.

Nachdem sie eine Stunde an dem Referat gearbeitet hatten, schlichen sie auf den Dachboden und nahmen sich den Aktenordner des Nazi-Richters vor. Die Schriftstücke waren in drei Blöcke geteilt. Das erste Segment enthielt einen ganzen Stapel von Urteilen, die kurz vor Kriegsende ausgesprochen wurden. Darauf folgten mehrere Personalakten von hohen Offizieren der Gestapo und der SS. Verena bemerkte als erste, dass in beiden Teilen dieselben Namen auftauchten. Alle in den Personalakten auftauchenden Personen waren wegen Hochverrats an Führer und Vaterland zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Vorsitzender Richter war in allen Fällen Horst Ullman, Phillips Opa. Im dritten Teil tauchten dieselben Personen wieder auf. Hier war ihr Leben nach dem Krieg dokumentiert. Fast alle bekleideten hohe Ämter in Politik und Wirtschaft. Doch am interessantesten waren die letzten Seiten des Ordners. Es handelte sich hierbei um eine Auflistung von Geldbeträgen. Jährliche Zahlungen, die von den Verurteilten getätigt wurden, angefangen 1946 und endend im Jahre 2002. „Was ist das?“, fragte Phillip. Verena guckte ihn ernst an und sagte: „Ich glaube dein Nazi-Opa war ein Erpresser.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })