Landeshauptstadt: L. Wollersheim & R. Rittinghaus: Die verlorenen Akten – Teil 3 von 5
Seit zwei Wochen wird an dieser Stelle die erste Gewinnergeschichte des Potsdamer Storytausch-Wettbewerbs in fünf Teilen veröffentlicht. Sie heißt „Die verlorenen Akten“, geschrieben haben sie Lea Wollersheim und Robert Rittinghaus.
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Seit zwei Wochen wird an dieser Stelle die erste Gewinnergeschichte des Potsdamer Storytausch-Wettbewerbs in fünf Teilen veröffentlicht. Sie heißt „Die verlorenen Akten“, geschrieben haben sie Lea Wollersheim und Robert Rittinghaus. Die Autoren sind Schüler des Potsdamer Schiller-Gymnasiums. In ihrer Story geht es um die Suche von Phillip nach der Wahrheit über die Vergangenheit seines verstorbenen Großvaters. Bei der Vorbereitung eines Referats hat er nämlich mit seiner neuen Mitschülerin Verena viele Zeitungsartikel gefunden, die seinen Opa als Nazi-Richter ausweisen. Zu allem Überfluss scheint es, als habe der Opa nach dem Krieg weiter Unrecht begangen: Sie finden eine Erpresserliste
„Was? Wie kommst“n jetzt darauf?“, gab Phillip zögernd zurück. Verena hielt ihm die Liste mit den Geldbeträgen unter die Nase. „Und? Das ist eine Liste mit Zahlen!“ sagte Phillip. „Nein. Das sind nicht nur Zahlen, das sind Zahlungen! erläuterte Verena. „Ich komm nicht ganz mit.“ „Ja, schau doch. Hier stehen die Namen, dahinter stehen die Geldbeträge und an“. Danach kommen so lange Zahlenreihen. Genauso wie bei diesem Ding, was Papa immer von der Bank bekommt. Mit der Nummer vom Konto und so einer Bankzahl, oder Bankleitzahl heißt das, glaub“ ich!“.
Ein paar Nachmittagssonnenstrahlen fielen durch das kleine Dachfenster und man konnte den Staub tanzen sehen. Verena blätterte emsig in den Unterlagen. Phillip saß ganz still. Nach einer ganzen Weile sagte er: „Das kapier“ ich nicht. Mein Super-Opa verknackt die Leute und bekommt hinterher noch Geld dafür?“ Verena hielt inne und sah zu ihm auf. „Ich meine hallo da bringt er sie ins Gefängnis und weil es so schön war, zahlen sie ihm Jahre später Geld dafür?“. „Du hast Recht. Irgendwie komisch.“, grübelte Verena und hielt mit der nervenden Blätterei auf. „Unser Mr.History, Herr Waldner, hat uns auch immer erzählt, dass dieser Widerling Hitler mit Verrätern kurzen Prozess gemacht hat. Auf Verrat stand doch die Todesstrafe. Wieso sind die alle dann zu lebenslanger Haft verurteilt worden?“. „Hab“ ich in meiner alten Schule auch gehört. Scheint mein Großvater ja sehr sanftmütig gewesen zu sein.“ An seiner Stimme konnte Verena hören, wie sehr ihm das alles an die Nieren ging. Phillip fragte: „Wann sind die verurteilt worden? Kurz vor dem Ende des Krieges, oder?“. „Ja, alle Urteile wurden Ende 1944, Anfang 1945 ausgesprochen.“
Ratlos saßen die beiden auf den alten Kisten. Eine kleine Spinne krabbelte emsig aus dem offenen Karton. Nach einer Weile unterbrach Verena die Stille. „Du, ich muss nach Hause. Was hältst Du davon, wenn wir morgen mal Herrn Waldner ein paar von den Unterlagen zeigen. Vielleicht kapiert er den Kuddelmuddel.“ Phillip war unsicher: „Ich weiß ehrlich nicht genau, was meine Eltern dazu sagen werden. Ich meine immerhin sind das alte Unterlagen meiner Familie“. „Familie? Stimmt. Husch, husch, bekommst Du einen Großvater und husch, husch, kehren wir ihn wieder unter den Teppich. Klasse. Muss ich schon mal sagen.“ Verena war sehr aufgeregt. Als sie jedoch Phillips bedröppeltes Gesicht sah, tat ihr ihr Ausbruch schon wieder leid. „Mach Dir keine Sorgen. Waldner ist schon in Ordnung. Der hilft.“ Dann – urplötzlich – drückte sie den überraschten Phillip fest an sich. „Tschüß.“ Und war schon auf der Leiter nach unten verschwunden. Phillip blieb verdattert sitzen. Uff, war das schön.
Abends, als aus dem Zimmer seiner Schwester nur noch ein leises, regelmäßiges Raffeln zu hören war und auch seine Eltern scheinbar vor dem Fernseher saßen, holte Phillip in seinem Zimmer die Unterlagen, die er vom Dachboden geschmuggelt hatte, wieder hervor. Er blätterte vor und zurück; verglich und sortierte und doch ergab sich kein Bild. Dann – von einer Sekunde auf die andere – schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Was, wenn der Großvater mit den vermeintlichen Opfern unter einer Decke gesteckt hatte???? Er blätterte noch mal. In allen Urteilen waren die Angeklagten Offiziere gewesen. Was, wenn diese Opfer das Kriegsende als Opfer“ erleben sollten???? In Phillips Kopf drehte sich alles. Er war hellwach. Das Herz klopfte und er fror. Ihm war vor Aufregung übel. Wie sollte er jetzt wohl einschlafen. Kurz entschlossen zog er sich seine Jeans und den Pullover über, packte die Unterlagen in seinen Rucksack und öffnete das Fenster. Jetzt war auch alles egal. Wenn er sich streckte, konnte er mit den Fußspitzen den Vorbau über der Haustür erreichen. Plopp. Unsanft landete er auf der Vortreppe und lauschte. Nichts. Er schnappte sich sein Fahrrad, das noch am Schuppen lehnte und radelte den Steinweg entlang. Richtung Siedlung. Verena. Bis morgen konnte er unmöglich warten.
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