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Landeshauptstadt: Lachen, fortgezogen von tiefster Nacht

Traditioneller Trauergottesdienst der Krankenhausseelsorge für verstorbene Kinder

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Es geht weniger um Trost als um Trauer. „Wer den Tod seines Kindes erleben musste, dem hilft kein Schulterklopfen und die Aufmunterung: Es wird schon wieder“, sagt Monique Tinney. Für die Predigt zum Gedenkgottesdienst für Eltern, die um ihr Kind trauern, hat die Seelsorgerin am Samstag dennoch eine Geschichte aus dem Buch der Könige im Alten Testament ausgesucht, die am Ende etwas Tröstliches hat: Elias in der Wüste. Elias liegt unter einem Wacholder und will sterben. Ein Engel rührt ihn an und sagt: „Stehe auf und iss!“ – „Der Trauerweg ist lang wie bei Elias in der Wüste“, sagt die Predigerin. Doch müsse es gelingen, den Weg ins Leben trotz Steinen und Hindernissen zurück zu finden.

Seit 2005 richtet die Krankenhausseelsorge im Klinikum „Ernst von Bergmann“ am Nachmittag vor dem Totensonntag einen Gottesdienst in der Sternkirche aus. An diesem Samstag kamen 40 Menschen, darunter neun Kinder, in den würdigen Raum der Neubau-Kirche. Das angestrahlte ziegelfarbene Wandrelief der Heiligen Familie, die schöne Schuke-Orgel und die brennende Kerze für die trauernden Eltern vermitteln eine Atmosphäre, die ans Herz geht und die zum Glück durch die Unbeschwertheit der Kinder etwas neutralisiert wird. Doch die Tränen lassen sich nicht stoppen bei Lied-Worten wie „Das Leben ist verflogen, der Tod trat ein mit Macht. Das Lachen? Fortgezogen, erstickt von tiefster Nacht.“

Die von Betroffenen vorgetragenen Klagen gehen in die selbe Richtung: „Mein Weg führt in die Dunkelheit, ich weiß nicht weiter.“ Oder: „Ich bin aus der Bahn geworfen und mein Weg ist schwer.“ Eine Trauerzeremonie ist ohne Musik nicht denkbar. An der Orgel begleitet Kirchenmusikerin Elisabeth Goetzmann den Gesang und von der Empore aus ergänzt Eduard Wall mit seinem Moskauer Profi-Akkordeon den Orgel-Klang. „Ich habe mir gedacht, dass das Akkordeon das Seufzen besser wiedergibt als die Orgel“, sagt Monique Tinney.

Nach dem Gottesdienst sitzen alle bei Kaffee und Kuchen beisammen, tauschen Erinnerungen und Gedanken aus, sogar ein schüchternes Lachen ist zu hören. Monique Tinney wendet den Blick hinüber in den offenen Kirchenraum. Um die große Kerze für die Eltern brennen mehr als 20 kleine, angezündet von den Angehörigen zum Gedenken an ihre Toten. „Diese Kinder können heute nicht unter uns sein.“

Begründerin der Gedenkgottesdienste in der Sternkirche war Pfarrerin Beate Violet, die über zehn Jahre in der Krankenhausseelsorge im Bergmann-Klinikum tätig war. 2004 gab es eine Trauergruppe, in welcher die Idee eines Gedenkens in der Sternkirche geboren wurde. Schwerpunkt der Krankenhausseelsorge ist die Betreuung von Eltern, deren Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Zahlen für Potsdam kann oder will Monique Tinney nicht nennen. Nach den veröffentlichten demografischen Daten lag die Kindersterblichkeit in Deutschland im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 4,1 von 1000 Geborenen. Diese Zahl beziffert den Anteil der Kinder, die in den ersten fünf Lebensjahren sterben. Die Sterblichkeit im ersten Lebensjahr bezeichnet man als Säuglingssterblichkeit. Die Durchschnittszahl bei Totgeburten beträgt in Deutschland laut Statistik bei Jungen 3,84 und bei Mädchen 3,21.

„Jedes Jahr um die gleiche Zeit sterbe ich deinen Tod“, äußert eine Mutter während der von leiser Musik begleiteten Meditation in der Sternkirche. Dieser immer wiederkehrende Schmerz könne viele Jahre, vielleicht ein ganzes Leben lang dauern. Für die Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind, gibt es seit drei Jahren eine Gemeinschaftsgrabstätte in Potsdam. Diese befindet sich auf dem ältesten Babelsberger Friedhof in der Wichgrafstraße.

Tinney arbeitet seit September im Klinikum. „Aushilfsweise“, sagt sie. Ansonsten sei sie Ausländerseelsorgerin in Potsdam. Diese Stelle ist vom Kirchenkreis kürzlich von 60 auf 100 Prozent Dienstzeit aufgestockt worden. Für das Klinikum kündigte Superintendent Joachim Zehner auf der Herbstsynode „die Aufstockung der Krankenhausseelsorgerstelle von 0,55 um 15 Prozent“ an, „sodass mit der Fremdfinanzierung von 30 Prozent aus schriftlich zugesagten Mitteln des Klinikums eine ganze Pfarrstelle entsteht.“ Wer sie bekommt, steht allerdings noch nicht fest.

Günter Schenke

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