Landeshauptstadt: Lange Nacht, die Wissen schafft
Wissenschaftsnacht bietet Ein- und Ausblicke in die Sterne, die Klimazukunft und die Tiefen der Erde
Stand:
Jaulend setzt sich das alte Riemengetriebe in Bewegung. Es knackt im Gebälk, die Maschine ächzt. Doch dann beginnt die riesige Kuppel des Großen Refraktors auf dem Potsdamer Telegraphenberg zu rotieren. Zentimeter für Zentimeter. Eine ganze Stunde würde die hundertjährige Mechanik brauchen, um die Kuppel einmal die Runde machen zu lassen, damit Sternenbeobachter mit dem Fernrohr in alle Himmelsrichtungen schauen können.
Am kommenden Samstag in der „Langen Nacht der Wissenschaften“ wird dazu reichlich Gelegenheit sein. Unter dem spaltbreit geöffneten Runddach präsentierten die beteiligten Potsdamer Institute gestern schon mal ihr Programm für die „klügste Nacht des Jahres“. Insgesamt 66 Institute in Berlin und Potsdam öffnen ihre Türen. Zehntausend Wissenschaftler werden in beiden Städten auf den Beinen sein, um dem von Jahr zu Jahr ansteigenden Besucherstrom gerecht zu werden und dessen nicht nachlassenden Wissensdurst zu stillen.
Auf dem Telegraphenberg kann man bei Einbruch der Dunkelheit nicht nur in die Sterne blicken, sondern auch in die entgegengesetzte Richtung, in die Tiefen der Erde. Das GeoForschungsZentrum (GFZ) lässt per Knopfdruck einen Vulkan ausbrechen und öffnet mit seiner Erdbebenforschung mehrere Fenster ins Innere unseres Planeten. Dessen Energieressourcen zu erschließen, werde künftig immer wichtiger, so Franz Ossing vom GFZ. „Wir leben schließlich auf einem Feuerball“, erinnerte er und kündigte spannende Vorträge zur Geothermie, der emissionsfreien Nutzung von Erdwärme für Strom und Heizung, an. Auch die momentan noch komplizierte und risikoreiche Förderung von Gashydraten, dem „brennenden Eis“ aus Meerestiefen, kommt immer größere Bedeutung zu. In der Langen Nacht wird man die eiskalten Gashydrate in die Hand nehmen und später dabei zuschauen können, wie sie in Flammen aufgehen. Ein effektvolles Szenario für junge Schlaufüchse, die sich zudem im Geotheater mit einem Zeitwurm durch die Erdgeschichte wühlen und dabei Sauriern und Eisbären begegnen können.
Im Alfred-Wegener–Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) tauchen die weißen Bären dann erneut auf: in den Tagebuchnotizen und Dias des Potsdamer AWI-Technikers Jürgen Graeser, der in den vergangenen Monaten mit einer russischen Expedition auf einer Eisscholle durchs Nordpolarmeer driftete. Wer will, kann sich in der typischen Polarforscherkluft mit Eisbär im Hintergrund fotografieren lassen und bei den hochsommerlichen Temperaturen in kühlere Regionen träumen.
Die anhaltende Hitze passt allerdings gut ins Bild, dass die Forscher vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in der Langen Nacht der Wissenschaften zeichnen werden. Eine Multimediapräsentation beschreibt die Klimaveränderungen in Deutschland seit 1950 und schaut voraus ins Jahr 2055. Vorträge im Kuppelsaal des Instituts zeigen eine Vielzahl gangbarer Wege auf, wie sich die Menschheit aus der Klimafalle befreien kann. Das PIK setzt dabei vor allem auf die heranwachsenden Generationen. An einem Mitteilungs-Board für Junior-Experten ist Platz für Gedanken, Ideen und Anregungen zur Klimapolitik. Und mit dem Brettspiel Keep Cool können die Jüngsten umwelt- und klimabewusstes Handeln lernen.
Wer sich im Verlauf der Langen Wissenschaftsnacht vom Telegraphenberg herab und in Richtung der Berliner Institute begeben möchte, kann gleich hinter der Glienicker Brücke am ehemaligen Hahn-Meitner-Institut einen Zwischenstopp einlegen. Mitarbeiter des jüngst zum Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie umbenannten Instituts führen im Siebenminutentakt durch die sonst streng abgeschotteten Experimentierhallen am Forschungsreaktor. Kinder und Jugendliche haben hier normalerweise keinen Zutritt. In dieser Nacht, die Wissen schafft, ist jedoch Vieles möglich, vorausgesetzt, die Erwachsenen haben einen gültigen Personalausweis dabei. Zusammen mit der Eintrittskarte, die in diesem Jahr übrigens erstmals im Vorverkauf preiswerter ist, als an der Abendkasse, öffnen sich die sonst sorgfältig verschlossenen Labortüren. Die Materialforscher erklären die Herstellung hauchdünner Solarzellen und schwammähnlicher Metallschäume, erzeugen tiefste Temperaturen und stärkste Magnetfelder – nicht nur für die Jüngsten ein ganz und gar anziehendes Programm.
Antje Horn-Conrad
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: