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Homepage: „Längere Arbeitszeit ist kein Allheilmittel“

Wirtschaftswissenschaftler Wilfried Fuhrmann über Arbeitszeitverlängerung, Kurzarbeit und Lebensarbeitszeit

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Wirtschaftswissenschaftler Wilfried Fuhrmann über Arbeitszeitverlängerung, Kurzarbeit und Lebensarbeitszeit Deutschland hat mit die kürzesten Arbeitszeiten der Welt. Politiker der Regierung wie auch der Opposition bringen nun eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich ins Gespräch. Lässt sich so die Konjunktur ankurbeln? Länger zu arbeiten ohne Lohnausgleich reduziert die Arbeitskosten und schafft pro Beschäftigtem mehr Output, also rechnerisch eine höhere Produktivität. Für die Unternehmen ist das tendenziell vorteilhaft. Damit es keine Milchmädchenrechnung wird, sind im Einzelfall die Auswirkungen auf Motivation und Qualität der Arbeit zu beachten. Für die Politik ist es ein fiskalisches Argument. Aber wenn sie bei unseren Schüler- und Schulproblemen einen Lehrer zu zwei Unterrichtsstunden pro Woche mehr verpflichten, dann werden Vorbereitung und Bildungsniveau abgesenkt. Die höhere Belastung wird zu früheren Verrentungen führen; junge Lehrer haben geringere Einstiegschancen. Wir brauchen eine Kostensenkung, aber nicht durch längere Arbeitszeiten. Was schlagen Sie vor? Die Produktivität muss durch bessere Ausbildung und Technologie steigen. Wir brauchen mehr Bildung, eine stärkere Motivation, wieder positive Zukunftserwartungen und institutionelle Sicherheit. Die Menschen müssen sich wieder stärker langfristig engagieren, sich beständig weiterbilden. Wer nur (irgend-)einen Job macht, konzentriert sich weder auf die Arbeit noch auf seine Bildung. Die Firmen müssen langfristige Perspektiven bieten und ihre Mitarbeiter ständig breiter weiterbilden. Für unsere vielen relativ gering ausgebildeten Menschen wird es sonst immer schlechter, denn der Wettbewerbsdruck über die EU-Erweiterung steigt. Die Verlängerung der Arbeitszeit soll auch Arbeitsplätze schaffen. Als Vorbild wird die USA genannt. Ich glaube an keinen schnellen Konjunkturaufschwung. Das Arbeitsmarktproblem wird sich eher noch verschärfen. Wenn zehn Mann zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten, produzieren sie zusätzlich das, was eine Teilzeitkraft in zwanzig Stunden schaffte: die hat man eingespart. Wenn wir die Arbeitszeit verlängern, wird es zwar kaum Kündigungen, aber weniger Neueinstellungen geben. Wir werden wohl bei der Jugendarbeitslosigkeit und der Altersteilzeit einen weiteren Schub bekommen. So wird kaum neue Beschäftigung geschaffen, denn der Export wird nicht derart rasant wachsen. Opel hat den Schritt in die andere Richtung gemacht und die Arbeitszeit gesenkt, um bestehende Jobs zu sichern. Das ist eine temporäre Maßnahme in Folge einer momentanen Absatzschwäche. Dieser sinnvolle Schritt der Flexibilisierung ist auch ein positives Signal, dass Opel den Standort erhalten will und hofft, bald wieder die Produktion erhöhen zu können. Es ist für jede Firma günstiger, Mitarbeiter zu halten, als sie zu entlassen und später neu zu suchen und anlernen zu müssen. Die Ursache des Problems bei Opel scheint im Management, in der Modellpolitik zu liegen. Der Einbruch des Marktes für Mittelklassewagen war angesichts der anhaltenden Wachstumsschwäche absehbar. Brauchen wir nun Arbeitszeitverkürzung oder unbezahlte Mehrarbeit? Beide Wege schließen sich nicht unbedingt aus. Die Verlängerung der Arbeitszeit soll generell die Arbeitskosten senken. Es ist politisch leichter zu vermitteln als eine dauerhafte direkte Lohnsenkung. Die Verkürzung bei Opel ist eine firmenspezifische vorübergehende Maßnahme, die mehr Flexibilität schafft. Sie ist kein genereller Weg, dann sinken die Beiträge zur Sozialversicherung und das Steueraufkommen mit vielen negativen Folgen. Es bedarf der Flexibilisierung; beide Wege sind kein Allheilmittel. Haben wir generell zu wenig Arbeit? Falsch ist der Eindruck, dass das gesamte Arbeitsvolumen sinkt und wir deswegen alle weniger arbeiten und die Arbeit irgendwie gerecht verteilen müssen. Wenn wir zu wenig Beschäftigung haben, liegt es daran, dass die politischen Rahmenbedingungen – einschließlich der Abgaben- und Steuerbelastung – nicht stimmen, und dass wir nicht innovativ und produktiv genug sind, oder dass die Löhne zu hoch sind. Es gibt reichlich Arbeit, sie muss nur bezahlbar sein. Aber die Kassen, aus denen man diese Arbeit bezahlen könnte, sind leer. Wir haben gar nicht so wenig öffentliche Mittel. Die Frage ist, wo sie hinfließen. Wir stecken zu viel Geld über die EU in die Landwirtschaft und in nicht wettbewerbsfähige Projekte und in die Verwaltung von Subventionen. Unsere Kosten der politischen Koordination, der Bürokratie, sind viel zu hoch. Die durch unzählige Verordnungen, Eingriffe und Umverteilungen politisch bedingten Kosten sind zu senken. Man sollte nicht die Arbeitnehmer dafür länger arbeiten lassen. Hier sind Kosten- und damit Steuersenkungen, d as heißt Reformen unabdingbar. Das hilft den Unternehmen und schafft Arbeitsplätze. In den Niederlanden wird generell weniger als bei uns gearbeitet, dennoch haben die Holländer eine wesentlich niedrigere Arbeitslosenquote. Holland ist ein besonderer Fall und doch ein Beispiel dafür, dass eine kürzere Arbeitszeit nicht per se negativ ist. Es liegt auch an der Arbeitsmarktpolitik und der Ausgestaltung der Sozialsysteme. Der Druck, selbst den Lebensunterhalt zu verdienen, ist in den Niederlanden größer. Man wird schneller an die Hand genommen. Bei uns gibt es eine größere Freiheit, sich auszuklinken oder zu resignieren. Es ist schwerer und teurer die Betroffenen dann zu vermitteln, als wenn man früher etwas unternommen hätte. Aber eine kollektive Arbeitszeitverkürzung wäre für uns keine Lösung? Bestimmt nicht. Wir sollten tendenziell länger arbeiten. Wir können es uns nicht leisten, die Menschen mit 55 aufs Altenteil oder in die Altersteilzeit zu schicken und über das Sozialsystem zu finanzieren. Also längere Lebensarbeitszeit? Ja, aber keine Verlängerung bis zum 67. Lebensjahr mit dem Ziel höherer Rentenabschläge beziehungsweise sinkender Renten. Die Menschen müssen faktisch mit 60 arbeiten können, um eigenverantwortlich ihre Lebensumstände zu gestalten. Es ist ein Märchen, dass man mit 50 nicht mehr lernen kann. Wenn Mitarbeiter mit 40, 50 frustriert sind, dann liegt es zumeist am Betrieb, es ist ein Motivations- und Mobbingproblem der Unternehmen. Die Ansicht, dass man mit 50 zu alt für den Arbeitsmarkt ist, ist aber weit verbreitet. Zu Unrecht. Wenn die Menschen ständig hören, dass sie mit 50 zum alten Eisen gehören, werden sie demotiviert. Dann kann man nicht bis 65 arbeiten. Die Tarifparteien müssen altersadäquate Entlohnungsformeln entwickeln. Die Firmen müssen erkennen, dass sie auf wertvolles Potenzial verzichten, wenn sie nicht in die Produktivität der 55-Jährigen investieren, und diese gehen. Statt eines Kostenfaktors können sie gewinnbringende Leistungsträger sein. Die Weichen stellt man schon im Alter von 40. Es mangelt im Weiterbildungsmanagement. Hier zu sparen ist betriebswirtschaftlich zu kurz gedacht und volkswirtschaftlich katastrophal. Das Gespräch führte Jan Kixmüller.

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