
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Laufen, um das Leben zu atmen
Zehn Potsdamer sind am Start. Ein Jahr trainieren. Fitter und gesünder werden. Länger durchhalten. Das ganz eigene Ziel erreichen. Mit dabei: Manuela Dünow
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Mit dem Zeigefinger auf der Tischplatte zeichnet Manuela Dünow die Runde nach und kommentiert die Umrisse: „Das waren vielleicht 400 Meter. Und in der Mitte war ein Tümpel, da bin ich immer drumrumgelaufen.“ Kindheitserinnerungen an ein 200-Seelen-Dorf in Vorpommern. „Da konnte man nichts machen“, beschreibt sie die Einsamkeit in der mecklenburgischen Prärie. Um der Einöde etwas zu entfliehen, begann sie zu laufen – immer im Kreis durch den kleinen Dorfpark. Wenn sie fertig war, fühlte sie sich zwar immer noch eingeengt im nicht einmal 20 Quadratkilometer großen Klein Luckow. Aber der Kopf war frei. Als sie 20 war, ist sie weggezogen.
Verlassen haben viele den kleinen Ort, in dem ein ganz Großer der deutschen Sportgeschichte geboren wurde: Max Schmeling. Viele Jahre waren die Spuren der Box-Legende in seinem Geburtsort verweht, heute gibt es eine Max-Schmeling-Straße in Klein-Luckow.
Eine Dünow-Straße gibt es nicht. Siege bei der Kreis-Spartakiade, wie die Wettkämpfe damals hießen, reichten nicht zur großen Ehre für eine Straßenbenennung. Für Manuela Dünow waren es jedoch große Erfolge. „Ich wollte immer die Beste sein“, erinnert sie sich. „In der Schule und überall.“ Also habe sie auch mehr gemacht als die anderen und trainiert – auf der Rund im Dorfpark, an der ihr Vater mit der Stoppuhr in der Hand stand. 400 und 800 Meter waren ihre Lieblingsstrecken. „Bei langen Strecken braucht man Geduld, das ist nicht meine Stärke“, sagt sie.
Die Grenzlinie zwischen Geduld und Ungeduld zeichnet Manuela Dünow immer noch verschieden dick. Die Ausbildung und der Job als Physiotherapeutin, zwei Söhne, ein abgebrochenes Kirchenstudium, Beziehungen – kurz: das Leben ist ein guter Lehrmeister, um zu begreifen, dass nicht immer alles schnell geht und jegliches seine Zeit braucht. Auch das Laufen nicht, doch da ist der Geduldsfaden eben nicht sehr stark. „Ich will immer ein schnelles Ergebnis, schon nach kurzer Zeit“, sagt sie. Schon nach ein bis zwei Wochen regelmäßigem Laufen horcht sie ungeduldig in sich hinein, ob es sich schon besser und leichter anfühlt.
Dabei weiß sie, dass Laufen auch eine Geduldsprobe ist, bei der man gar nicht so sehr lange warten muss, bis etwas Gutes passiert. Allein dass sie zum Laufen auf niemanden angewiesen ist, sei jedes Mal, wenn sie die Schuhe schnürt, ein Glücksmoment. „Beim Laufen brauche ich nur mich. Es ist das Schöne daran, dass ich es ganz allein machen kann. Auch wenn der Tag ganz anders wird als geplant, kann ich mir immer noch die Zeit für mich nehmen. Und dann, wenn ich laufe, kann nichts mehr dazwischenkommen.“
Bewegung ist Therapie. Das weiß Manuela Dünow als Physiotherapeutin nur zu gut. Für sie ist Laufen auch eine Maßnahme, um sich für einen Moment unabhängig zu machen von ihren Familienpflichten. Zwei 12- bzw. 14-jährige Söhne sind ein täglicher Marathon. „Meine Jungs sind in einem Alter, bei dem ich das Gefühl habe, ständig gegenhalten zu müssen und mich sichtbar zu machen. Nehmen die mich noch wahr, akzeptieren sie mich noch?“ Bei „Potsdam läuft“ mitzumachen ist auch der Versuch, „es ihnen zu zeigen, dass ich es noch draufhabe“, sagt Manuela Dünow und lacht.
Die Lebendigkeit, die Manuela Dünow beim Laufen spürt, gibt ihr die Kraft für Situationen, wenn der Lauf des Lebens zu Ende geht. Seit Kurzem arbeitet die 41-Jährige als Sterbebegleiterin. Die Teilhabe auf dem letzten Wegstück sei manchmal traurig, manchmal auch beruhigend, wenn Stille, Frieden und eine gewisse Zeitlosigkeit entstehen. Wenn sie nach einem Sterbefall in ihren Emotionen feststecke und der Alltag ihr weder Zeit noch Raum zum Loslassen lässt, dann helfe ihr die Bewegung. „Dann kann ich mich freilaufen, um wieder auf ein normales Level zu kommen.“ Am liebsten sei sie dann draußen, im Wald. Um das Leben zu atmen.
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