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Potsdamer Geoforscher entdeckten unbekannte Lebewesen auf dem Meeresboden des Nordpazifiks
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Es ist eiskalt, vollkommen dunkel und es herrscht ein enormer Druck von bis zu einer Tonne pro Quadratzentimeter – die Tiefsee scheint ein unwirtlicher Lebensraum zu sein. Groteske Fische mit leuchtenden Anhängen und viel zu großen Mäulern und Augen, weiße Schlotkrabben oder biolumineszierende Staatsquallen gehören zu den Wesen, die diese kaum erforschte Unterwasserwelt dennoch bevölkern. Auf eine weitere erstaunliche Lebensform sind Geowissenschaftler der Universität Potsdam während einer Expedition mit dem US-amerikanischen Forschungsschiff „R/V Knorr“ zum Nordpazifischen Wirbel gestoßen. In Tiefseesedimenten entdeckten Rishi Ram Adhikari und Jens Kallmeyer Mikroorganismen, die ihnen Rätsel aufgeben. Denn sie zählen möglicherweise zu den ältesten Lebewesen unseres Planeten. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“.
Der Nordpazifische Wirbel – eine Meeresströmung zwischen Nordamerika und Asien – ist eine der nährstoffärmsten Regionen der Weltmeere. Nur der Südpazifische Wirbel enthält noch weniger Nährstoffe. „In diese Regionen werden kaum Nährstoffe eingetragen, da sie sehr weit von den Küsten entfernt sind“, erklärt Kallmeyer. Die Erforschung dieser Gebiete steckt noch in den Kinderschuhen: „In die großen ozeanischen Wirbel fahren kaum Wissenschaftler“, so Kallmeyer. Dabei würden die Weltmeere zu etwa 40 Prozent aus extrem nährstoffarmen Zonen bestehen, betont der Wissenschaftler. Auf der 43-tägigen Forschungsreise, die ein internationales Forscherteam, bestehend aus Mikrobiologen, Geologen und Geochemikern, von Costa Rica über die Galapagos-Inseln bis nach Hawaii führte, haben sich die Geoforscher aus Potsdam das Leben im Meeresboden genauer angeschaut.
Die Nährstoffarmut des Nordpazifischen Wirbels ist zunächst einmal ein Augenschmaus: Das Wasser ist extrem klar und blau. „Wenn man zum ersten Mal dieses tiefe Blau sieht - das ist schon etwas Besonderes“, so Kallmeyer. Erst recht, wenn man wie der Forscher Adhikari zum ersten Mal aufs offene Meer fährt. „Ich komme aus Nepal, da habe ich immer nur die Berge gesehen“, schmunzelt Adhikari. Die Sichttiefe am Nordpazifischen Wirbel beträgt 60 bis 70 Meter. „In Küstennähe sind etwa 10 Meter normal“, erklärt Geoforscher Kallmeyer. Doch Leben ist in diesem Wasser kaum vorhanden. Wegen der äußerst geringen Nährstoffkonzentration gibt es nur sehr wenig Phytoplankton –mikroskopisch kleine Algen, die die Grundlage des marinen Nahrungsnetzes bilden. Von ihnen ernähren sich kleine Krebstierchen, das sogenannte Zooplankton, das wiederum von kleinen Fischen und anderen Tieren gefressen wird. Abgestorbene Algen und totes Zooplankton sinken langsam auf den Meeresboden. Die Dicke der Schicht, die so am Meeresboden abgelagert wird, bezeichnen Forscher als Sedimentationsrate. Im Nordpazifischen Wirbel beträgt sie nur einen Millimeter – in 1000 Jahren. In einer Tiefe von 30 Metern ist das Sediment rund 86 Millionen Jahre alt.
Um biologische und chemische Parameter im Meeresboden messen zu können, nahmen die Forscher an den elf Stationen ihrer Expedition Bodenproben – sogenannte Sedimentkerne. Mit einem speziellen Bohrer konnten die Forscher bis in eine Tiefe von 34 Metern vordringen. Eine Seilwinde transportierte die schmalen Sedimentproben aus einer Tiefe von bis zu 5800 Metern an Deck, wo sie zunächst in handliche 1,5-MeterStücke geschnitten und im Kühlraum gelagert wurden.
Bei der Analyse der Sedimentkerne aus dem Nordpazifischen Wirbel erlebten die Forscher zwei Überraschungen. Zum einen war auch bis in eine Tiefe von über 30 Metern noch Sauerstoff vorhanden. Da die Mikroorganismen im Meeresboden bei der Zersetzung des toten organischen Materials, das aus der Wassersäule herunterrieselt, Sauerstoff verbrauchen, ist in Meeresgebieten mit guter Nährstoffversorgung der Sauerstoff bereits in den obersten Millimetern aufgebraucht. Am Nordpazifischen Wirbel ist die Ablagerung von organischem Material dagegen so gering, dass der vorhandene Sauerstoff nicht komplett aufgebraucht wird. Die zweite Überraschung offenbarte sich am Mikroskop: Auch in den tiefsten Sedimentschichten fanden die Geobiologen noch Mikroorganismen, wenn auch in sehr geringer Zahl.
Über die Sauerstoffkonzentration und die Anzahl der Mikroben konnten die Forscher deren Stoffwechselaktivität berechnen. „Die Ergebnisse widersprechen eigentlich allem, was wir aus der Mikrobiologie bisher kannten“, beschreibt Kallmeyer. Die Aktivität der Organismen sei so gering, dass eine Teilung wahrscheinlich nur einmal in ein paar Tausend Jahren vorkomme. Die wenige Energie, die den Mikroben zur Verfügung steht, nutzen sie für den Zellerhalt und für Reparaturen an der DNA.
Für die Zukunft haben sich Adhikari und Kallmeyer vorgenommen, die Tiefseemikroben molekularbiologisch und physiologisch zu untersuchen. Dass diese Aufgabe nicht einfach sein wird, geben sie unumwunden zu: „Die Zeiträume, von denen wir hier sprechen, lassen sich natürlich in einem Labor schlecht nachstellen“, so Kallmeyer. Doch Adhikari arbeitet derzeit an einer Methode, die Enzymaktivität der Organismen zu messen, um daraus Schlüsse auf ihren Stoffwechsel und ihre Überlebensstrategien zu ziehen.
Heike Kampe
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