zum Hauptinhalt
Schnelle Hilfe nötig. Am Jungfernsee probte die Potsdamer Feuerwehr am Mittwoch eine Rettung aus dem Eis. Im Ernstfall bleiben nur vier Minuten, bis ein Mensch im kalten Wasser bewusstlos wird. Torsten Athenstädt hat es deutlich länger ausgehalten.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Lebensretter auf dünnem Eis

Wenn der Winter geht, wird das Eis brüchig. Potsdams Feuerwehr probt für den Ernstfall

Stand:

Das Wasser auf dem Jungfernsee ist gefroren. Die Eisdecke misst knapp 15 Zentimeter – aber nicht überall. Es gibt ein Loch und Torsten Athenstädt steckt drin. „Ich bin gleich da, halten Sie durch“, brüllt ihm ein Feuerwehrmann vom Ufer entgegen. Vorsichtig, aber im Eiltempo, schiebt der Uniformierte zwei Leitern nebeneinander auf das Eis. Auf allen Vieren krabbelt er auf die erste Leiter, schiebt die zweite ein Stück vor, klettert hinüber und zieht die andere an sich vorbei. Das kalte Aluminium quietscht über das Eis. Stück für Stück nähert sich der Retter dem Frierenden. „Ganz ruhig“, ruft er. Torsten Athenstädt lächelt nur gequält. Mit den Händen klammert er sich am Eis fest. Sonnenstrahlen fallen auf seinen Kopf. Er blinzelt. „Ich hole sie raus“, sagt der Feuerwehrmann außer Atem. Noch trennen ihn zwei Leiterlängen vom Opfer.

Torsten Athenstädt hat es so gewollt. Nur wenige Minuten zuvor stand der gelernte Feuerwehrtaucher noch am sicheren Ufer, dick eingepackt in einem rotleuchtenden Überlebensanzug. „Das wird nicht prickelnd“, hatte er gesagt und sich seine Neoprenhandschuhe übergezogen. Aufgeplustert wie ein Reifenmännchen stapfte er in seinem wasserdichten Anzug zum frisch geschlagenen Eisloch und glitt hinein in das vier Grad kalte Wasser. Alles, um sich von seinen Kollegen der Potsdamer Feuerwehr retten zu lassen.

Im Land Brandenburg sind in diesem Jahr bereits drei Menschen erfroren, zwei nach Unglücken auf vereisten Flüssen oder Seen. Die Potsdamer Feuerwehr nutzte die Wintertemperaturen am Mittwoch für eine seltene Übung: Zwei Jahre musste man darauf warten, sagt Einsatzleiter Uwe Protz. Der vergangene Winter war zu warm. Man wolle sich vorbereiten, sagt Protz. Auf die Zeit, wenn das Eis schmilzt. „Die Leute sind unvernünftig, besonders die Erwachsenen.“ Je weiter man hinausgehe, desto größer sei die Gefahr einzubrechen, sagt Protz. Er zeigt über den Jungfernsee. Spaziergänger überqueren die erst vor drei Tagen geschlagene Fahrrinne. Unter dem frischem Eis fließt die Havel, scheuert die Eisdecke von unten ab. Hier herrscht Lebensgefahr, sagt Protz. Wer dort einbricht, dem kann auch die Feuerwehr nicht helfen.

Torsten Athenstädt streckt seinen Arm seinem Retter entgegen. Noch immer liegt fast ein halber Meter zwischen ihm, seinem Helfer und der Leiter. Athenstädt atmet tief ein und wuchtet seinen Oberkörper aus dem Eisloch heraus. Er erreicht die feuerrote Leitersprosse, sein Kollege packt ihn unter den Achseln. Er hat ihm im Griff. „Zieht“, brüllt er über seine Schulter. Die Leine am Ende der Leiter strafft sich. Sechs Feuerwehrleute zurren das Gespann vom Eis.

Im Ernstfall, sagt Uwe Protz, bleiben vier Minuten, bis ein Mensch im eiskalten Wasser bewusstlos wird. Die Feuerwehr braucht sieben bis acht Minuten, um am Einsatzort zu sein. „Wenn es weit draußen ist, zum Beispiel in Groß Glienicke“, beginnt Protz zu erzählen und bricht dann doch ab. Der Einsatzleiter zuckt mit den Schultern. Die Feuerwehr kann es nicht rechtzeitig schaffen. Erste Hilfe müssen andere leisten. Der Griff zum Mobiltelefon sei das Wichtigste, sagt Protz. Danach gilt es, einen langen Ast oder ein Abschleppseil zu suchen. „Auf keinen Fall die Hand reichen“, sagt Protz. Die Gefahr sei zu groß, dass am Ende auch der Retter ins Eis rutscht. Nur im Liegen sollte man sich der Bruchstelle nähern, niemals auf dem morschen Eis stehen. Gelingt die Rettung, darf sich das Opfer nicht bewegen, sagt Protz. Auch im Wasser gilt es Ruhe zu bewahren.

Ruhe hat Torsten Athenstädt bewiesen. Wasser tropft aus den Taschen des Überlebensanzugs auf seine wasserdichten Schuhe. Er ist am sicheren Ufer. Der Anzug sei dicht, sagt der Babelsberger Feuerwehrmann. „Ich friere nicht.“ Er hätte es noch länger im Wasser ausgehalten, sagt Athenstädt und blinzelt wieder gegen die Sonne. Nach dem Einsatz wolle er sich trotzdem eine heiße Tasse Tee gönnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })