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Landeshauptstadt: Lehrers Bett in der Schulstube

Geschichte und Geschichten am Preußischen Stammtisch

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Geschichte und Geschichten am Preußischen Stammtisch Am Preußischen Stammtisch, der auch schon schwache Abende erlebt hat, lieferte Susanne Marlock, die an der Uni Potsdam Geschichte studiert, jüngst im „Stadtwächter“ ein wahres Bravourstück ab. Sie sprach über die vor 270 Jahren von Glaubensflüchtlingen, den calvinistischen Hugenotten, begründete Französisch-Reformierte Gemeinde. Einen Sommer lang hat die angehende Historikerin die Protokollbücher über die Sitzungen des Presbyteriums (der Kirchenältesten) studiert und dabei über neue Erkenntnisse zur Entwicklung der Gemeinde und der Kolonie hinaus tragische und komische Geschichten herausgelesen. So stürzte sich der kluge und beliebte Prediger Jean Pierre Erman kurz nach seiner Heirat mit einer Sello-Tochter in die Havel. Ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen ist nicht nachzuweisen. Erman erklärte nach seiner Rettung den Selbstmordversuch mit einem „plötzlichen Fieberwahn“, auf die Kanzel der 1753 geweihten Französischen Kirche durfte er aber nicht zurückkehren. Deshalb sprang er am 1. Mai 1805 erneut in den Fluss – diesmal war kein Retter zur Stelle. An der französischen Schule am Bassin war 30 Jahre lang Isaac Huguenel als Lehrer tätig. Als die Gemeinde mit den Stein/Hardenbergschen Reformen ab 1809 ihre Sonderrechte verlor, musste sie auch die Schulvisitation durch den lutherischen Superintendenten hinnehmen. Der war vom gänzlichen Unwissen der Schüler entsetzt. Besonders stieß ihm aber Huguenels Bett auf, das mitten im ohnehin engen Schulzimmer stand. Der Lehrer erklärte, dass in seiner Wohnung kein Platz dafür sei, da er die Familien seiner verheirateten Töchter aufnehmen musste. Susanne Marlock beschränkte sich aber nicht auf Anekdoten, sie zeichnete den oft schwierigen Weg der nach Potsdam gezogenen Refugies (Flüchtlinge) nach. Sie kamen nach dem Toleranzedikt des Großen Kurfürsten (1685) zunächst nur zögerlich in die Stadt, erst ein halbes Jahrhundert danach konnte mit Genehmigung König Friedrich Wilhelms I. eine eigene Gemeinde gebildet werden, später eine Kolonie mit den Sonderrechten eigener Gerichtsbarkeit, Schul- und Armenwesen. Für den Hof arbeitende Fabrikanten und Händler lebten gut, die 27 Offiziersfamilien leidlich, andere zählten zur Stadtarmut. Ihre Lage spitzte sich besonders in Kriegszeiten zu. 1761/62 mussten acht der etwa 50 Hugenottenfamilien unterstützt werden – nur mit Mehl und Brot, denn die Armenkasse war leer. Die Studentin schloss ihren Vortrag mit den preußischen Reformen, die Anfang des 19. Jahrhunderts die Selbständigkeit der französischen Kolonien aufhoben. Die Kirchengemeinde aber gibt es in Potsdam heute noch. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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