Von Guido Berg: Lehrstellen werden zu Leerstellen
Demografischer Wandel: Mehr Ausbildungsplätze als Bewerber / Dramatische Situation in Potsdam
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Nicht genug Ausbildungsplätze? Das war gestern! Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt hat sich in den zurückliegenden Jahren dramatisch gewandelt. Kamen im Ausbildungsjahr vor fünf Jahren statistisch gesehen noch 2,3 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz, steht nun „mehr als ein Ausbildungsplatz pro Jugendlichem“ zur Verfügung, wie Arbeitsamtschefin Edelgard Woythe gestern vor Journalisten berichtete. 4036 gemeldeten Stellen – darunter 3214 betriebliche Ausbildungsstellen – stehen im abgeschlossenen Berufsberatungsjahr nur 3720 im Arbeitsamtsbezirk gemeldete Bewerber gegenüber. Das sind 0,92 Bewerber pro Lehrstelle.
Für Jugendliche besonders günstig – entsprechend problematisch für Unternehmen – ist die Situation in Potsdam. 1256 betrieblichen Stellen stehen hier nur 1055 Bewerbern gegenüber. Wobei die Stellenzahl um 4,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr anstieg, während die Bewerberzahl um ein Viertel, genau 20,9 Prozent, abnahm. Jedem Potsdamer Schulabgänger standen in der Hauptagentur im Potsdamer Horstweg statistisch gesehen 1,7 freie Lehrstellen gegenüber. Arbeitsamtschefin Woythe vermutet, dass viele Potsdamer Eltern über gute Kontakte in andere Regionen haben und gar nicht auf die Arbeitsagentur angewiesen sind, wenn es um eine Ausbildung für den Sprössling geht.
Anschaulich wird die Situation durch die Ausführungen von Eva Gatzky von der Handwerkskammer: Diese habe derzeit 595 freie Lehrstellen in über 50 Berufen im Angebot, 239 für „sofort“, 356 – auch das ein Novum – bereits für das kommende Jahr. Unter den sofort freien Lehrstellen gehören 16 Kraftfahrzeug-Mechatroniker-Ausbildungsplätze, die zu bekommen vor wenigen Jahren noch fast aussichtslos war. Ferner sofort zu besetzen sind zehn Ausbildungsgänge zur Bürokauffrau oder -kaufmann und 28 Friseur-Lehrstellen – früher Lehrstellen, die begehrt wie rar waren.
Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam hat noch 118 betriebliche Ausbildungsplätze in 32 verschiedenen Berufen für das begonnene Ausbildungsjahr zur Verfügung, wie IHK-Vertreter Wolfgang Spieß gestern erklärte. Ein Ausdruck der besonderen Dramatik der Situation dürfte auch folgende Zahl sein: Die IHK-Ausbildungsbörse listet bereits jetzt 1040 freie Lehrstellen für das kommende Jahr auf, sagte Spieß.
Als ein besonderes Zeichen sieht Edelgard Woythe auch die Tatsache, dass ihre Agentur erstmals 16 Jugendliche zur Ausbildung an den renommierten Fahrzeughersteller Daimler-Benz vermitteln konnte. Dieses Unternehmen habe seinen Nachwuchs früher fast ausschließlich aus den Initiativbewerbungen der Interessierten rekrutiert und war auf eine Vermittlung durch das Arbeitsamt „nicht angewiesen“. Der Kommentar von Edelgard Woythe: „Die Welt hat sich gedreht.
Als Grund für die Diskrepanz zwischen freien Stellen und der Bewerberanzahl nennt die Agenturchefin den demografischen Wandel. Die Zahl der Schulabgänger geht immer weiter zurück. Meldeten sich zur Jahrtausendwende noch 9189 Bewerber für eine Lehrstelle bei der Potsdamer Arbeitsagentur, ging die Zahl im folgenden Jahrzehnt kontinuierlich Jahr für Jahr zurück, teils auf vierstelligem Niveau. Mit dem Tal dieser Entwicklung wird 2012 gerechnet. Dann werden sich Edelgard Woythe zufolge vielleicht noch 3000 Bewerber bei der Agentur melden. Dazu Eva Gartzky von der Handwerkskammer: „Das Vermittlungsgeschäft ist härter geworden.“
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