Landeshauptstadt: Lesebuch mit tausend Füßen
In Potsdam gibt es eine Ideenschmiede für Schulmaterialien
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In Potsdam gibt es eine Ideenschmiede für Schulmaterialien Von Karsten Sawalski Jägervorstadt. „Lesen beginnt nicht mit den Buchstaben“, behauptet Marlies Koenen. Die Diplom-Pädagogin, Autorin zahlreicher Publikationen zum Thema und Gründerin des Instituts für Image + Bildung in Potsdam beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit dem komplexen Prozess des Lesenlernens. „Bei immer mehr Kindern im ersten Schuljahr werden Schwierigkeiten im Bereich der sprachlichen Wahrnehmungsleistungen deutlich“, beklagt die Pädagogin. Das bewusste Artikulieren von Wörtern sei früher intensiver und selbstverständlicher entwickelt worden, indem die Kleinen Lieder sangen, Reime und Gedichte auswendig lernten. Das gerate heute immer mehr in den Hintergrund. Für Kinder, die langsamer lernen, sei dadurch die Vorbereitungszeit auf die Schule zu kurz. Schon der Kindergarten müsse eine Bildungs- und keine reine Erziehungsinstitution sein, meint die Pädagogin. Um einen Bruch zwischen Kindergarten und Schule zu vermeiden, sollten sich die Kinder schon viel früher auf ihren „Leselernweg“ machen. Dieser müsse nicht nur durch Erzieher und Lehrer, sondern vor allem auch von den Eltern aktiv angeleitet werden. Zuhause fehle oft das Angebot an „gutem Lesefutter“. Lange bevor Kinder in der Schule lesen und schreiben lernen, werden sie mit der Schriftsprache konfrontiert: Über Mamas Einkaufszettel, die Zeitung am Frühstückstisch oder die allgegenwärtige Werbung. Ist die Neugier für das geschriebene Wort erst einmal geweckt, können die Kleinen zu ersten Vorformen des Lesens angeregt werden. Das Lesenlernen erfordere ein ganzes Bündel von Fertigkeiten und Fähigkeiten, die vom Kind in den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen aufgebaut und dann sinnvoll miteinander verknüpft werden müssen: Von Bedeutungszusammenhang über Erkenntnisgewinn bis zu Spracherfahrung und Problemlösung. Die Erkenntnisse der neueren Lernforschung setzt Koenen um und will damit Antworten auf die PISA-Studie geben. Das Potsdamer Institut für Image + Bildung in der Bertha-von-Suttner-Straße 11 setzt Auftragsarbeiten für Kultusministerien, Verlage und Einrichtungen der Lehrerfortbildung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen um. Derzeit erarbeitet die Schulexpertin ein Sprach-Lesebuch für den Anfangsunterricht im Auftrag des Luxemburger Erziehungsministeriums. „MILA“ heißt das Lesebuch, das Lehrkräfte mitgestalteten. „MILA ist der Name des Tausendfüßers, der als Leitfigur durch das Buch führt“, erklärt Koenen, „gleichzeitig ist es ein Leitwort, das einfach gelesen und gesprochen werden kann, ähnlich wie Mama“. Das Lesebuch für den Anfangsunterricht ist in die Lernbereiche Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben gegliedert. Auffallend ist die Bebilderung, die das Buch dominiert. „Die Bilder stellen meist echte Komunikationssituationen dar, so dass die Kinder viele Dinge zum beobachten, beschreiben und selber erzählen vorfinden“, erklärt die Pädagogin, die damit die ABC-Schützen in ihrer Selbsttätigkeit fördern will. Auch die ganzheitliche Perspektive findet hierin ihre Berücksichtigung. „Kinder haben die verschiedensten Lernvoraussetzungen“, erklärt Koenen, „mit diesem Buch müssen sie nicht im Gleichschritt lernen“. Die gesamte Schulklasse könne sich innerhalb eines Themenfeldes gemeinsam bewegen, während der einzelne Schüler am Wortschatz oder der Lauttabelle arbeitet, erklärt die Pädagogin das Buchkonzept. „Ein Modell, das auch für deutsche Bildungseinrichtungen von Interesse sein könnte.“
Karsten Sawalski
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