Landeshauptstadt: Lesen in der Asche
Ihr Arbeitsplatz ist schwarz, ihre Aufklärungsquote liegt bei 54 Prozent – und damit über Bundesdurchschnitt: Von der Arbeit der Brandermittler bei der Potsdamer Kriminalpolizei
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Feuer ist sein Element, schwarz und verrußt sein Arbeitsplatz. „Wenn wir zum Brandort kommen, ist kaum noch was übrig“, sagt der 37-jährige Kriminalkommissar Ulf Brünsing. Der Sachbearbeiter im „Kommissariat Brände, Umwelt, Betäubungsmittel und Graffiti“ liest in den Überresten der zerstörerischen Wut von mehreren hundert Grad Hitze wie in einem Verlaufsprotokoll. In kurzer Zeit kann er den Brandherd lokalisieren und den Weg nachzeichnen, den die Flammen genommen haben. Mit Spezialkenntnissen und Erfahrungswerten geht er ans Werk und begutachtet vom Brandfleck im Teppich bis zum Großfeuer in einer Industrieanlage alle Brandorte in Potsdam. Mit den Ermittlungsergebnissen von Ulf Brünsing und seinen zwei Mitarbeitern entscheidet sich, ob ein ausgebrochenes Feuer nur Versicherungsfall oder gar Kapitalverbrechen ist.
Wer zündelt und damit wesentliche Gebäudeteile, Häuser, Fahrzeuge oder Wälder in Flammen setzt, begeht den Straftatbestand der vorsätzlichen Brandstiftung, zitiert Brünsings Chefin Ina Thieme, Leiterin des zuständigen Kommissariats, aus dem Gesetzestext. Auch dank der Arbeit von Kriminalkommissar Brünsing und seinen Kollegen konnte den Feuerteufeln in der Vergangenheit oft das Handwerk gelegt werden. Potsdams zuständiges Kommissariat kann in dem Bereich auf eine Aufklärungsquote von 54 Prozent verweisen. Das sei deutlich über dem Bundesdurchschnitt, der bei 48,3 Prozent liegt, sagt der Leiter der Kriminalpolizei im Schutzbereich Potsdam, Lars Brückner, mit Blick auf die Kriminalstatistik.
„Spuren werden durch Feuer nicht zerstört, sondern nur verändert“, erklärt Brünsing. So ließen sich an einem Brandort durchaus Finger- und Fußabdrücke sichern oder Überreste eines Brandbeschleunigers wie Benzin finden. Bei der Brandermittlung arbeite man interdisziplinär zum Beispiel mit der Feuerwehr, die Auskunft über Flammengröße und -farbe geben könne, oder auch mit öffentlich bestellten Gutachtern zusammen. Bei der Tätersuche gehe man ähnlich vor wie bei Verbrechen gegen Leib und Leben: Zeugenbefragung, Umfeldermittlung, mögliche Motivbestimmung.
Die vielen Großbrände, die im zurückliegenden Jahr in Potsdam registriert wurden, sind bisher nicht aufgeklärt. Allein dreimal fing das in Ballen gepresste Verpackungsmaterial auf dem Hof des Recyclingfachbetriebes Alba im Industriegebiet Rehbrücke Feuer. Auch auf dem benachbarten Step-Areal wurden hunderte Tonnen Papiermüll in Brand gesetzt. Dass es in allen Fällen vorsätzliche Brandstiftung war, steht für die Ermittler inzwischen fest. Ob die Großbrände, drei davon brachen in dichter Folge in einer Woche im Mai aus, auf das Konto von ein und dem selben Täter oder der selben Tätergruppe geht, sei nur eine von mehreren Spuren, die verfolgt würden, erklärt Kriminalhauptkommissarin Thieme. Gerade beim Delikt Brandstiftung gebe es häufig Nachahmer. Die Beweisführung gestalte sich hierbei aber schwerer als zum Beispiel bei einer Serie von Tankstellenüberfällen. Beim Überfall hätten die Opfer direkten Kontakt mit dem Räuber und könnten entsprechende Täterbeschreibungen geben. Ein Großfeuer hingegen breche vielfach erst richtig aus, wenn sich der Brandstifter schon lange vom Tatort entfernt habe. Dennoch, so Thieme, gebe es oft individuelle Vorgehensweisen, die genau einem Täter zuzuordnen seien.
In Experimenten habe man den Verlauf der Brände auf dem Alba-Recyclinghof nachgestellt, erklärt Sachbearbeiter Brünsing, und wüsste nun, wie sie gelegt worden seien. Ob sich anhand der Untersuchungsergebnisse Parallelen auch zu den anderen Großbränden in diesem Jahr ziehen ließen, wollte die Kommissariatsleiterin nicht sagen. Die Ermittlungen liefen noch, mögliche Erfolge wolle man nicht durch frühzeitige Äußerungen in der Öffentlichkeit mindern. Auf jeden Fall gehe man aber auch bei diesen vorsätzlichen Brandstiftungen von Männern als Tätern aus. Die bundesweite Statistik weise nämlich eines klar aus: Brandstiftungen werden zu 96 Prozent von Männern begangen. Eine Konzentration auf eine bestimmte Altersgruppe hingegen gebe es nicht, erklärt Thieme. Vom Kind bis zum Greis sei alles dabei, ergänzt Kriminalrat Brückner. Dass Männer gerne kokeln, habe seinen Ursprung in der Menschheitsgeschichte, sagt der Kriminalrat. Bei den Urmenschen seien sie ja schließlich für das Feuermachen zuständig gewesen – ein Gefühl der Macht. Das Feuer sei von jeher Segen und Fluch zu gleich, philosophiert Brückner. Es habe Wärme und Licht gebracht, aber auch ganze Dörfer und Städte vernichtet. „Weshalb vorsätzliche Brandstiftung bis heute als Kapitalverbrechen gilt, das mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr geahndet wird“, so der Kripo-Chef. Obwohl immer spektakulär, machten vorsätzlich gelegte Feuer nur einen Bruchteil der Gesamtstraftaten in Potsdam aus. Das bewege sich unter einem Prozent, sagt Brückner.
Dass Potsdam in einem Städtevergleich als Hochburg der Feuerteufel gelte, wie der Mitteldeutsche Rundfunk aus statistischen Zahlen des Bundeskriminalamtes geschlossen hat, kann der Potsdamer Kripo-Chef aus der eigenen Kriminalstatistik nicht ableiten. Demnach wurden bei der Polizei im Untersuchungszeitraum zwischen 1998 und 2005 insgesamt 821 Brandstiftungen in Potsdam erfasst, aber in nur 161 der Fälle sei vorsätzlich gezündelt worden. Bis November dieses Jahres wurden in Potsdam bisher 24 Taten von so genannten Feuerteufeln bekannt; insgesamt registrierte die Polizei 111 Fälle von Brandstiftung.
Bis vor zwei Jahren sei es vor allem in der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel vielfach zu Feuerausbrüchen gekommen – verursacht durch unbeaufsichtigte Adventskränze, die Feuer fingen oder durch den unsachgemäßen Gebrauch von Feuerwerkskörpern. Die Zahl solcher Brände sei deutlich zurückgegangen, sagt Kriminalhauptkommissarin Thieme – vermutlich aufgrund zunehmender Besonnenheit und Achtsamkeit der Potsdamer. Dass das in diesem Jahr so bleibe, wünschen sich Feuerwehr und Brandermittler.
Nicola Klusemann
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