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Von Lutz Wisotzki: Licht auf krummen Wegen

Quasare und Galaxien: Materielle Körper wirken durch ihre Gravitationskraft wie Linsen, daher nennt man sie Gravitationslinsen

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Im Jahr der Astronomie berichten Potsdamer Astrophysiker regelmäßig in den PNN von ihren liebsten Himmelskörpern.

Als Albert Einstein im Jahr 1916 seine allgemeine Relativitätstheorie publizierte, war dies ein Bruch mit vielen etablierten Vorstellungen der Wissenschaft. Warum entwickelte diese Theorie eine so ungeheure Popularität, trotz ihrer komplizierten mathematischen Struktur und der äußerst unanschaulichen Vorstellung von einer „vierdimensional gekrümmten Raumzeit“? Weil Einstein eben nicht nur graue Theorie produzierte, sondern sich aus seinen Formeln ganz konkrete beobachtbare Vorhersagen ableiten ließen.

Die vielleicht anschaulichste Vorhersage machte Einstein selbst: Licht breitet sich nicht unbedingt auf geraden Linien aus, sondern unterliegt der Raumkrümmung in der Nähe massereicher Körper. Die Schwerkraft lenkt die Lichtteilchen auf ihrem Weg ab, der Lichtweg wird gekrümmt. Man kann auch sagen, materielle Körper wirken durch ihre Gravitationskraft wie optische Linsen, so genannte „Gravitationslinsen“. Man stelle sich beispielsweise vor, dass ein weit entfernter Stern gerade vom Rand der Sonne verdeckt wird. Dann bewirkt der Gravitationslinseneffekt, dass das Licht des Sterns einen kleinen Bogen um die Sonne macht. Der Stern erscheint ein wenig zur Seite verrückt und nun doch nicht verdeckt.

Bei einer totalen Sonnenfinsternis 1919 ergab sich dann die Möglichkeit, Einsteins Vorhersage mit genauen Messungen zu überprüfen. Eine totale Sonnenfinsternis war nötig, um einen Stern nahe dem Sonnenrand überhaupt beobachten zu können, normalerweise überstrahlt die Sonne alle Gestirne in ihrer Nähe. Diese Messungen wurden zu einem Triumph für die allgemeine Relativitätstheorie, und Einsteins Konterfei erschien auf den Titelseiten der großen Zeitungen in aller Welt.

Leider ist die Sonne keine sehr wirksame Gravitationslinse. Die Auslenkung am Sonnenrand beträgt gerade einmal knapp zwei Bogensekunden, das ist etwa 0,1 Prozent des scheinbaren Sonnendurchmessers oder der Winkel, unter dem eine 1-Euro-Münze in zwei Kilometern Entfernung erscheint. In den 1930er Jahren vermutete Fritz Zwicky, ein in die USA emigrierter Schweizer Astronom, dass Galaxien unter Umständen viel größere Auswirkungen des Gravitationslinseneffekts zeigen könnten.

Aber erst im Jahr 1979 wurde die erste Gravitationslinse außerhalb unserer eigenen Galaxie entdeckt, nämlich der so genannte „Doppelquasar“. Dabei handelt es sich um den leuchtenden Kern einer fernen Galaxie, der von uns aus gesehen zufälligerweise genau hinter einer Vordergrundgalaxie liegt. Durch die Gravitationslinsenwirkung der Vordergrundgalaxie wird das Licht des Quasars aufgespalten und es erscheint die gleiche Quelle einmal links, einmal rechts von der Vordergrundgalaxie. In den Folgejahren wurden viele weitere solche Gravitationslinsen-Mehrfachquasare entdeckt, auch drei- und vierfach aufgespaltene Systeme; inzwischen sind fast 100 solcher Objekte bekannt.

Einer der schönsten Vierfach-Quasare (mit dem unromantischen Namen HE 0435-1223) wurde 2002 von unserem Team aus Potsdamer und US-amerikanischen Astronomen entdeckt. Die spektakulärsten Auswirkungen des Gravitationslinseneffekts bleibt Galaxienhaufen vorbehalten (Foto). Entscheidend für die Stärke des Effekts ist die Masse der „Linse“, und Galaxienhaufen sind die massereichsten Aggregate im Universum mit bis zu dem 1000-fachen der Masse unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Solch ein Haufen wirkt förmlich als Vergrößerungsglas auf dahinterliegende Galaxien, die dadurch zu weit auseinander gestreckten leuchtenden Bögen verzerrt werden. Auch hier kommt es wieder zur Aufspaltung von Bildern, so dass mehrere der leuchtenden Bögen ein- und dieselbe Hintergrundgalaxie darstellen.

Gravitationslinsen stellen einen wichtigen Forschungsgegenstand der modernen Astrophysik dar. Die Art und Weise, in der das Licht von Hintergrundquellen abgelenkt und verzerrt wird, erlaubt Rückschlüsse über die Massenverteilung in der Linsengalaxie und damit über die Verteilung der immer noch mysteriösen „Dunklen Materie“, von der wir nur wissen, dass es sie gibt, und dass sie über 80 Prozent aller Materie im Universum ausmacht. Darüber hinaus sind Gravitationslinsen tatsächlich so etwas wie „kosmische Mikroskope“: Durch den Linseneffekt erscheinen betroffene ferne Galaxien erheblich größer und heller und können somit besser im Detail untersucht werden. Schließlich bestätigen sie aber auch in äußerst eindrucksvoller Weise die Richtigkeit der Vorhersagen, die vor nunmehr fast 100 Jahren im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie gemacht wurden.

Der Autor ist Leiter des Programmbereichs Galaxien und Quasare am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) und Professor für Astrophysik an der Universität Potsdam.

Lutz Wisotzki

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