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125 Jahre Oberlinkrippe: Von der „Verpflegungsanstalt für Säuglinge“ zu einer modernen Kinderbetreuungseinrichtung
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Eine möglichst frühe Kinderbetreuung, damit Frauen schnell wieder in die Arbeitswelt zurückkehren und zum Lebensunterhalt der Familie beitragen können – ein moderner Gedanke, der aber aus dem Jahr 1883 stammt. Damals eröffnete der noch junge Verein Oberlinhaus die erste „Verpflegungsanstalt für Säuglinge ab sechs Wochen“ in der Region. Diese Anstalt sei „ein längst gefühltes und oft unausgesprochenes Bedürfnis für Nowaweser Mütter gewesen, welche durch Fabrik- oder anderweitige Arbeit außer dem Haus an der Pflege und Beaufsichtigung ihrer kleinsten gehindert wurden“, heißt es in einer Festschrift des Vereins Ende des 19. Jahrhunderts. Insbesondere die Weberinnen, die in der Textilindustrie arbeiteten, hätten das Angebot der kirchlichen Einrichtung genutzt, erzählt Renate Frost. Sie ist Geschäftsführerin des Geschäftsbereiches Lebenswelten im Oberlinhaus und Träger der Oberlinkrippe, die in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen feiert.
Für die Verpflegung und Betreuung durch die Diakonissen zahlten die Eltern ein wöchentliches Kostgeld in Höhe von 60 bis 90 Pfennig, bei großer Armut wurde sogar dieser Betrag erlassen, fand Renate Frost in den Archiven der inzwischen mit über 1000 Beschäftigten großen diakonischen Institution in Babelsberg.
Die Oberlinkrippe war von Gründung an bis 1931 in zwei Räumen des Mutterhauses untergebracht. Auch damals schon sei die Krippe nicht nur reine Verwahranstalt gewesen. Morgen- und Tischgebet hätten dem Tagesplan Struktur gegeben. Die Kinder seien von den Schwestern mit Ringspielen und Gesang beschäftigt worden. Sie hätten die Kleinen draußen schlafen lassen, wenn das Wetter es erlaubte und ihnen viel Zuneigung gegeben. Auch das sei dokumentiert, sagt die Geschäftsführerin der Lebenswelten. Schließlich seien die Vereinsgründer große Anhänger des französisch-deutschen Pfarrers Jean Frederic Oberlin gewesen, der eine praktische, an der Lebenswelt der Kinder und Familien orientierten Vorschulerziehung entwickelt hatte, die in ihren Grundzügen auch schon auf die Kleinsten übertragbar war.
Seinem Konzept folgend war bereits 1874 in Nowawes ein Kleinkinderlehrinnen-Seminar ins Leben gerufen worden. Die knapp ein Jahrzehnt später eröffnete Oberlinkrippe diente den Schülerinnen des Seminars, das neben Kleinkindlehrerinnen später auch Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Säuglingspflegerinnen ausbildete, einen Praktikumsplatz. Auch in der Vergangenheit habe man eben schon Synergien zu nutzen gewusst, sagt Renate Frost. Ein weiteres Beispiel sei die Wäscherei auf dem Gelände gewesen, in der Windeln und Leibchen der Krippenkinder mit gewaschen worden seien.
Dank der Vielzahl von Praktikanten aus dem Oberlinseminar war die Verpflegungsanstalt denn auch mit zwei Hausschülerinnen, zwei Hilfskräften und einer Gehilfin für die anfänglich elf Kinder bestens ausgestattet. Zum Vergleich: Die derzeit 42 Krippenplätze bei Oberlins werden von acht Mitarbeitern bestritten. Die Platzkapazität werde noch in diesem Jahr auf 60 erweitert, die Zahl der Erzieherinnen entsprechend aufgestockt.
An den im Laufe der Jahre stark schwankenden Belegungszahlen ließen sich die jeweilige wirtschaftliche Lage ablesen, sagt die Lebenswelten-Chefin. Während die Krippe zwischen 1928 und 29 immer wieder kurzzeitig schließen musste, bot die Einrichtung im Oberlinhaus 1931 sogar Tag- und Nachtbetreuung für die dann maximal 30 Säuglinge und Kleinkinder an.
Auch durch die DDR-Zeit hindurch bestand die christlich Krippe – „sicherlich als eine Art Exot unter den mehrheitlich staatlichen Einrichtungen“, sagt die Lebenswelten-Leiterin.
Vieles aus den Anfangsjahren wie der Morgenkreis oder das Schlafen im Freien ist auch heute noch geblieben. Auch gebe es im Oberlinhaus immer noch eine Krippe und einen Kindergarten als zwei getrennte Einrichtungen. „Wir denken, dass altershomogene Gruppen für Kinder besser sind als gemischte“, sagt Renate Frost. Ihre Auffassung der Kleinkinderbetreuung wollen die Fachkräfte von Oberlins auf einer großen Fachtagung im Juni zur Diskussion stellen. Diese Tagung sei das Highlight im diesjährigen Jubiläumsjahr zu 125 Jahre Oberlinkrippe. Zu einem Festgottesdienst aus diesem Anlass lädt der Verein bereits am kommenden Donnerstag, dem 17. Januar ein.
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