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Ringvorlesung der Uni zu Frauen und Literatur
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Auch die kitschigsten Romane wissen es: Liebe ist nie nur ein privates Ereignis. Sie wird überformt von sozialen Zwängen, gesellschaftlichen Zuschreibungen und einer als allgemein gültig aufgefassten Moral. Genau davon erzählt der wohl größte Teil der Literatur, die im besten Fall zur Anwältin der Utopie gleichberechtigter Liebe wird. Doch die Voraussetzung für Gleichberechtigung ist zunächst die Emanzipation, also die Befreiung aus Abhängigkeiten und Fremdbestimmung. Zum Beginn der Ringvorlesung „Brüche und Umbrüche“ des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur der Uni Potsdam untersuchte Literaturwissenschaftlerin Eva Lezzi anhand der Bestsellerautorin Fanny Lewald und ihres Romans „Jenny“ biografische und literarische Strategien weiblicher Emanzipation im 19. Jahrhundert.
Gleich auf drei Ebenen musste sich Fanny Lewald emanzipieren: als Frau, als Jüdin und als Schriftstellerin. Die 1811 in eine gutbürgerliche Königsberger assimilierte jüdische Familie Geborene verweigerte die Konvenienzehe, die sie für schlimmer als Prostitution hielt. Stattdessen heiratete sie 1855 ihre große Liebe Adolf Stahr, mit dem sie eine gleichberechtigte intellektuelle Partnerschaft verband. Zu dieser Zeit war sie längst finanziell unabhängig, da bereits ihr zweiter, noch anonym veröffentlichter Roman „Jenny“ 1843 ein großer Erfolg wurde. Fanny Lewald schrieb mehr als 30 Romane sowie Reisebeschreibungen und politische Schriften – und 1861 die erste Autobiografie einer Frau jüdischer Herkunft unter eigenem Namen.
In dem bewusst als Tendenzroman angelegten Buch „Jenny“ thematisiert Fanny Lewald das Scheitern der Liebe zwischen Christen und Juden aufgrund sozialer Zwänge, um auf die Notwendigkeit von Emanzipation zu insistieren. Der Widerspruch des ästhetischen Konzepts des Romans liegt nach Eva Lezzi darin, dass er einerseits die zeitgenössischen Mechanismen von Identitätskonstruktionen offen lege, anderseits aber sowohl geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen wie antijüdische Stereotypen bis in die kitschige Unzweideutigkeit zitiere. Ob die Leserinnen das progressive Potential dieses Unterhaltungsromans erkannten, lässt sich schwer herausfinden, da Fanny Lewald zwar viel gelesen, in den Feuilletons aber wenig geschätzt wurde. Erst neuere literaturwissenschaftliche Untersuchungen spüren ihren Einfluss etwa bei Fontane auf.
In einem chronologischen Bogen vom 18. zum 20. Jahrhundert war bereits im Wintersemester hinterfragt worden, wie Frauen literarisch zu gesellschaftlichen Bewegungen beitrugen. In der Fortsetzung der Ringvorlesung, die aufgrund der großen Resonanz konzipiert wurde, besteht nun die Möglichkeit neben Marieluise Fleißer, Anna Seghers und Claire Goll auch von weniger bekannten Autorinnen, wie Lucy Domeier, Veza Canetti, Gisela Elsner und Emine Sevge Özdamar zu hören. Die Ringvorlesung bietet die Chance, ganz verschiedene wissenschaftliche Zugänge zur Literatur kennen zu lernen. So verspricht das Programm mit Moray McGowan aus Dublin und Kader Konuk aus den USA nicht nur Außenblicke auf die deutsche Literatur, sondern auch mit Themen wie „Reisende Frauen“ oder „Frauen im Theater der späten DDR“ einige eher sozialhistorische als biografische Ansätze. Der Vortrag über die Schriftstellerin, Salonniere, passionierte Reisende und politisch engagierte Fanny Lewald war ein idealer Auftakt für die Vorlesungsreihe. Lene Zade
Die Ringvorlesung findet jeweils mittwochs, 17.15 bis 18.45 Uhr am Neuen Palais, Haus 9, Raum 205 statt.
Lene Zade
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