Landeshauptstadt: Lindenstraße war auch Hinrichtungsstätte
Am Freitag eröffnet die neue Dauerausstellung. Zeitzeuge Werner Adermann berichtet über vor Ort vollstreckte Todesurteile
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Innenstadt - Die am Freitag um 18 Uhr eröffnende Dauerausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 wirft ein überraschendes Schlaglicht auf eine aktuelle Potsdamer Diskussion. Dabei geht es darum, ob es nach 1945 im sowjetischen Geheimdienstgefängnis in der Leistikowstraße zu Erschießungen kam. Zumindest in der Lindenstraße ist das der Fall gewesen, wie man jetzt erstmals weiß: Darüber berichtet der ehemalige Lindenstraßen-Häftling Werner Adermann in einem per Video aufgezeichneten Interview mit Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF).
Laut Adermann wurden in dem ehemaligen Untersuchungsgefängnis des sowjetischen Geheimdienstes NKWD nach 1945 Todesurteile vor Ort vollstreckt. Es sei versucht worden, den Lärm der Schüsse mit großen Motoren abzuschirmen. „Es war in der ganzen Umgebung bekannt, dass da Leute erschossen wurden, im Hause sowieso“, erklärt Adermann.
In Potsdam wird seit Jahren darüber diskutiert, ob im Umfeld des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses des sowjetischen Militärgeheimdienstes Smersch in der Leistikowstraße Leichen ehemaliger Häftlinge vergraben sein könnten. Mit dem geplanten Neubau eines Schulgebäudes der Evangelischen Grundschule unmittelbar neben der Gefängnisvilla erhielt die Debatte jüngst Auftrieb. Der Historiker Peter Hild hält es für möglich, dass beim Aushub der Baugrube Leichen gefunden werden könnten (PNN berichteten).
Der Zeithistoriker Hertle erklärte am Donnerstag bei einer ersten Präsentation der neuen Ausstellung vor Journalisten, neben Adermann hätten auch andere Häftlinge über Erschießungen in der Lindenstraße zwischen 1945 und 1947 berichtet. „Wir wissen nicht, was mit den Leichen passiert ist“, erklärte Hertle auf PNN-Nachfrage. Wenn Erschießungen in der Lindenstraße als gesichert angenommen werden, dürfte der Aufklärungsdruck in dieser Frage auch für die Leistikowstraße steigen. Konkrete Hinweise sind bislang jedoch nicht bekannt.
Der am 3. Oktober 1947 wegen angeblicher Spionage zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilte Adermann ist in der vergangenen Woche 90-jährig verstorben. „Er war einer der letzten Zeitzeugen, die uns berichten konnten, dass in den Kellern der Lindenstraße die Todesstrafe vollzogen wurde“, sagte Hertle.
„Dieses Haus ist kein Museum, sondern eine Gedenkstätte“, stellte der Historiker klar. Folglich rückt die Exposition über die Nutzung der Lindenstraße durch den NKWD zwischen 1945 und 1952 und durch die DDR-Staatssicherheit von 1952 bis 1989 viele Häftlingsschicksale in den Mittelpunkt. Erstmals zu sehen ist eine rekonstruierte Verhörzelle der Stasi, informierte Kuratorin Gabriele Schnell.
Finanziert wurde der eine Million Euro teure Ausbau des neuen Besucherrundgangs sowie die Ausstellungsinstallation mit Geldern des Landes und des Bundes. Weitere 130 000 Euro Förderung stehen für die Erstellung eines weiteren Ausstellungsmoduls über die Zeit zwischen 1933 und 1945 bereit. Im Nationalsozialismus verurteilte das in der Lindenstraße 54 ansässige sogenannte Erbgesundheitsgericht über 4000 Männer und Frauen zur Zwangssterilisation. Zudem waren Zwangsarbeiter und Mitglieder von Widerstandsgruppen – etwa der Kommunist Werner Seelenbinder – in der Lindenstraße inhaftiert. Hertle zufolge soll die Ausstellung über die NS-Zeit ab Frühjahr 2013 zu sehen sein.
Ebenfalls bis 2013 wird die Gedenkstätte in die Trägerschaft einer unselbständigen Stiftung überführt sein, hofft der Büroleiter des Potsdamer Oberbürgermeisters, Dieter Jetschmanegg (SPD). Bisher dem Potsdam-Museum zugehörig, gehört die Lindenstraße 54 seit 2012 zum Geschäftsbereich des Oberbürgermeisters. Noch 2012 soll Jetschmanegg zufolge ein Gedenkstättenleiter gefunden werden, der die Stiftungsgründung vorantreibt. Ziel sei die Unabhängigkeit der Gedenkstätte vor dem Zugriff der Tagespolitik. Die Kosten des Gedenkenstättenbetriebes von jährlich etwa 600 000 Euro teilen sich das Land und die Landeshauptstadt.
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