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Landeshauptstadt: Linksverkehr

Falsche Richtung, falsche Adresse: Eine Stunde auf der Langen Brücke mit der Fahrradstaffel der Potsdamer Polizei

Stand:

„Stopp, Polizei!“ – unbeeindruckt von der Aufforderung fuhr Heinz Scholz-Weigl mit seinem Fahrrad über die Lange Brücke in Richtung Hauptbahnhof. Nichts hielt den rüstigen Rentner auf, weder die ihm entgegenkommenden Radfahrer noch der in blauer Polizei-Kleidung auf den Radweg springende Jens Nagler. Scholz-Weigl reagierte nicht und fuhr an dem Polizisten vorbei.

Nagler ist einer von vier Beamten der Fahrradstaffel im Schutzbereich Potsdam, die seit September 2004 auf den Straßen der Landeshauptstadt unterwegs ist. Er kennt die Vorurteile gegen ihn und seine Kollegen. Sie würden hinter Büschen vorspringen und Radfahrer abzocken und an Stellen stehen, die ungefährlich seien. Nichts da, sagt Polizeikommissar Nagler. Sie würden immer deutlich sichtbar auf den Wegen stehen und auch nur dort, wo die Polizei Unfallschwerpunkte sieht. Dazu zähle die Kreuzung vor dem Hauptbahnhof auf der Langen Brücke ebenso wie die Zeppelinstraße/Ecke Feuerbachstraße.

Die Bilanz der Fahrradstaffel ist einträglich: Knapp 4000 Verwarngelder sind in den vergangenen drei Jahren verhängt worden, dazu 416 Bußgeldbescheide – einen weiteren erhielt Scholz-Weigl, nachdem Nagler ihn kurz vorm Hauptbahnhof, an der Ampel, stoppen konnte. „Ich halte nicht an, bloß weil jemand Stopp Polizei ruft“, so Scholz-Weigl. Er sei selbst Polizist gewesen, in Nordrhein-Westfalen. Da sei es üblich, dass Polizisten mit einer Kelle oder dem Dienstausweis die Fahrradfahrer herauswinken. Das habe er hier auch erwartet. Doch, dass er entgegen der Fahrtrichtung fuhr, war danach nur noch eine Kleinigkeit: Das Ignorieren des Polizei-Stopps kann ihm drei Punkte in Flensburg einbringen. Vielleicht, denn Polizeikommissar Nagler ist sich sicher: „Wir werden uns sicher vor Gericht wiedersehen.“ Seine Kollegin wird dann als Zeugin aussagen. So etwas komme immer wieder vor, bislang hätte aber kein Kläger Recht bekommen. Auch wenn dies immer mit einem immensen zusätzlichen Zeitaufwand verbunden sei.

Papierkrieg heißt es an diesem Tag auch nach dem Vorfall mit Ahmed (Name geändert), der den Radweg auf der Langen Brücke in falscher Richtung entlang radelte. Ausweise hatte er nicht dabei, Geld auch nicht und die Adresse war im Melderegister nicht abfragbar. „Ein neuer Sport“, so Nagler. Viele würden sich der Konsequenz nicht bewusst sein: Wer falsche Angaben mache, müsste mit einer zusätzlichen Strafe von 500 bis 1000 Euro rechnen. Laut Nagler keine Seltenheit mehr. Im Potsdamer Melderegister jedenfalls konnte Ahmeds Adresse nicht gefunden werden – dafür aber in Talheim. Seit fünf Jahre lebe er bei seinem Cousin in Potsdam und arbeite in einem Imbiss. Eine Situation, die sowohl für den Fahrradfahrer immer schwieriger und für Nagler immer aufwändiger wird – „zehn Minuten Vorort, drinnen dann eine Stunde Arbeit“, so Nagler. Nun muss geprüft werden, ob er gegen Arbeits- oder Aufenthaltsauflagen verstoßen hat. Ahmed darf fahren, man kennt sich schon von anderen Kontrollen.

Es ist schon fast unheimlich, neben Nagler und seiner Kollegin Fahrrad zu fahren - beziehungsweise zu schieben. Denn der Polizist steigt ab, wenn er auf dem Fußweg unterwegs ist, schiebt sein Rad über Fußgängerampeln und wartet selbst an übersichtlichen Kreuzungen auf Grün an den Fahrradampeln. Dabei weist er auf die wesentlichsten Dinge zum Thema Verkehrssicherheit hin: Zwei unabhängig voneinander funktionierende Bremsen, eine Generator betriebene Beleuchtung, Reflektoren zur seitlichen Kenntlichmachung sowie eine Klingel. Wer etwa kein Licht hat, muss zehn Euro zahlen, für eine fehlende Klingel auch.

Wesentlich mehr muss Mike (Name geändert) bezahlen. Er bog mit seinem Rad rechts ab und überfuhr eine rote Fahrradampel. Sagen will er dazu nichts – nur ein kurzer Fluch. Nagler belehrt ihn: normalerweise koste das 62,50 Euro. Nagler hat jedoch ein aufmerksames Verhalten festgestellt; er sei ja langsam um die Ecke gefahren und habe sich vorher vergewissert, ob andere gefährdet sind. Das hört der Radler gern und antwortet auf Naglers Frage, welche Möglichkeit er bevorzuge: „Wie wärs mit einer Verwarnung?“ Abgelehnt. 25 Euro für einen einfachen Rotlichtverstoß sind fällig. Auch eine Frau muss 15 Euro für das Fahren auf der falschen Seite bezahlen, während zwei andere Frauen lächelnd vorbei fahren und sich ein „Glück gehabt“ zurufen. Sie konnten weiterfahren, weil Jens Nagler und Bianca Martins gerade zwei andere Radfahrer angehalten hatten. Bei einem blieb es bei einer mündlichen Verwarnung, eine Australierin kam gar ganz ohne Strafe davon. „Sie konnte mir glaubhaft versichern, dass sie den ersten Tag in Potsdam sei“, so Nagler. Na und? „Na in Australien ist Linksverkehr.“

Bei vielen Potsdamern auch. Viele stiegen in dieser einen Stunde der „Verkehrskontrolle mit medialer Begleitung“ (so Nagler über Funk), kurz vor den Polizisten vom Rad. Wohlwissend, sich nicht an die Regeln gehalten zu haben. Nagler sagt, solches Fehlverhalten habe zu einem Anstieg der Unfälle mit Radfahrern um 100 Prozent geführt. In drei von vier Fällen seien die Radler schuld gewesen.

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