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„Jedes Kind ist eine Primzahl.“ Reinhard Kahl in der Montessori-Schule.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Lob des Fehlermachens

„Das Geheimnis guter Schulen“ lüftete der Journalist Reinhard Kahl in der Montessori-Schule

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Klar, das wollen die Eltern wissen: Nichts weniger als „Das Geheimnis guter Schulen“ zu lüften versprach der Erziehungswissenschaftler, Filmdokumentarist und Journalist Reinhard Kahl anlässlich eines Vortrages in der vergangenen Woche. Die Resonanz war groß, der Saal der Potsdamer Montessori-Schule bis auf den letzten Stuhl besetzt. Ein Saal voller Experten gewissermaßen, denn sind sie nicht auch schon hinter das Geheimnis gekommen, wenn sie ihre Kinder nicht in eine „normale“, sondern in eine Montessori-Schule schicken? Folglich hatte Kahl ein Heimspiel; er der Grimme-Preisträger, sprach vor Wissenden und Eingeweihten, der Beifall war ihm sicher. Das Publikum bat lediglich um Bestätigung seines pädagogischen Konzepts für seine Liebsten.

Und Kahl gab ihnen, was sie wollten: Mit dem Herder-Zitat „Jedes Kind ist eine Primzahl“ ging es los. Jedes Kind ist teilbar nur durch eins und sich selbst, ist also einmalig und existiert nicht noch einmal auf der Welt – so etwas schwebt doch jedem im Saal für das eigene Kind vor – wohlwollender Beifall. Kahl, ein 68er, geboren 1948 in Göttingen, legte umgehend nach und zitierte Joseph Beuys: „Ich ernähre mich von meinen Fehlern – wovon sonst?“ Ein Fehler sei eine Eintragung im Pass eines jeden, der Neuland betrete. Über Fehler die Welt erkunden, darum gehe es. „Es gelingen nur Dinge, wo auch Dinge schief gehen können.“ Wäre Kahl ein Rockstar, wären in diesem Moment die ersten Papierschnipsel mit Handy-Nummern nach vorn geworfen worden. Kahl verstand, die Begeisterungswelle aufzunehmen ging förmlich in ein Reformpädagogik-Furioso über: Eine gute Schule biete eine „Atmosphäre grundlegender Anerkennung“, in der sich niemand „entblößen“ müsse oder sich wie vor einem „Erschießungskommando“ vorkomme. Vielmehr müsse der Geist der Schule lauten: „Ihr seid gut, kommt her, wir haben auf euch gewartet.“ Menschen seien keine Container, die mit Stoff gefüllt werden müssen. Alle Lehrer wüssten, dass „so wenig hängen bleibt“. Doch, so sagte es Kahl: „Wie schaffen wir, auch zu glauben, was wir wissen?“

Am Ende reichte es Kahl, nur noch die Schlagworte der freien Pädagogik wie ein Superhit-Medley abzuspulen: Das Gehirn sei „das Protokoll seiner Benutzung“. Lernen sei „Vorfreude auf sich selbst“. Eine Schule dürfe nicht vermitteln, „alles Interessante findet draußen statt“. Viele Schulen seien „Verwahrlosungsanstalten“, die Mutlosigkeit und Bedeutungslosigkeit vermittelten. Kinder behielten nichts, „wenn sie Dinge tun müssen, die sie eigentlich nicht interessieren“. Konkret wurde der Pädagoge, als er Kants bzw. Horaz’ „Sapere aude“ – „Wage es, vernünftig zu sein!“ – auf seine Idee anwendete, eine Schülerküche in den Mittelpunkt einer Schule zu stellen: „Wage es zu schmecken!“ Das helfe, „auf den Geschmack des Wissens“ zu kommen.

Bei aller Gunst – eine kritische Nachfrage gab es. Fast alle im Saal, meinte ein Vater, haben diese „schlimmen“ Schulen besucht „und trotzdem ist etwas aus uns geworden“. Darauf Kahl schlagfertig, quasi als Zugabe: „Meine Schule war langweilig und folgenlos.“ Guido Berg

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