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HINTERGRUND: „Man fragt sich, wo die Aggressionen herkommen“

2848 bundesweite Stadionverbote, keines davon für SVB-Fans: Der Jurist Tobias Schmiegel, Stadionverbotsbeauftragter des Fußball-Viertligisten Babelsberg 03, über die Voraussetzungen von Stadionverboten, seine Herangehensweise und besonders schwere Fälle im Karl-Liebknecht-Stadion

Stand:

Herr Schmiegel, Sie sind seit Sommer 2013 Stadionverbotsbeauftragter beim Fußball-Regionalligisten SV Babelsberg 03. Sind Sie dies gezielt geworden?

Es gab den Bedarf und ich wurde angesprochen, weil ich mich durch meine Tätigkeit an der Uni Potsdam schon aus rechtlicher Sicht mit Stadionverboten beschäftigt habe. Dadurch hatte ich bereits einen juristischen Zugang. Insofern gezielt war es aber, dass ich schon immer der Meinung war, dass es nicht von jemandem gemacht werden darf, der bei den Verbotsvergaben einfach auf „Drucken“ drückt – und dann dachte ich: Wenn ich die Möglichkeit schon habe, dann weiß ich wenigstens, wer es macht. Gezielt beworben habe ich mich aber nicht, es war eher ein Zufall.

Ist ein juristischer Zugang denn notwendig, um als Stadionverbotsbeauftragter arbeiten zu können?

Nein, ist er nicht. Letztes Jahr war ich auf einer Veranstaltung des Deutschen Fußball-Bundes, bei der auch die Stadionverbotsbeauftragten anderer Vereine aus dem Norden und Nordosten waren. Da waren ein paar Juristen dabei, die meisten sind aber keine. Es schadet aber auch nicht, eine juristische Ausbildung zu haben.

Sie sind auch Mitglied beim SVB. Lässt sich das miteinander vereinbaren?

Ich glaube, das lässt sich sehr gut vereinbaren, weil man den Verein von innen kennt und vor allem einen besseren Zugang zu den vom Stadionverbot Betroffenen hat. Wobei ich dennoch einen gewissen Abstand zur Fanszene habe – der vielleicht auch ganz gut ist, um die Arbeit möglichst objektiv zu erledigen.

Was muss passiert sein, damit Sie als Stadionverbotsbeauftragter aktiv werden?

Also es gibt im Prinzip zwei Quellen, durch die so ein Stadionverbotsverfahren zu laufen beginnen kann: Entweder kommt vom Verein, also den Ordnern, Sicherheitsbeauftragten oder jemand anderem, der Hinweis, dass etwas vorgefallen ist, das ein Stadionverbot rechtfertigen könnte. Häufiger ist es aber der Fall, dass es auf Veranlassung der Polizei passiert, die ja auch im Stadion anwesend ist, über gute technische Möglichkeiten verfügt und nah am Geschehen ist. Die Polizei informiert mich, wenn Ermittlungsverfahren eingeleitet werden und schlägt vor, ein Stadionverbot zu erteilen. Damit liegt der Ball dann bei mir und das Verfahren beginnt.

Was sind das für Sachverhalte, bei denen ein Stadionverbot vorgeschlagen wird?

Die an mich übermittelten Ermittlungsverfahren reichen von Pyrotechnik über Schlägereien bis hin zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisation, worunter beispielsweise Hitlergrüße fallen. Hauptsächlich sind es bei uns in Babelsberg aber Haus- und Landfriedensbrüche, also beispielsweise gemeinschaftlich begangene Platzstürme. In letzter Zeit haben wir allerdings auch wieder häufiger mit Hitlergrüßen zu tun.

Hitlergrüße klingen bei der linksalternativen Fanszene des SVB eher untypisch. Sie sind also auch für die Gästefans zuständig?

Genau, das Prinzip ist, dass der Verein, in dessen Stadion gespielt wird, das Stadionverbot erteilt. Und wenn der Sachverhalt ein bundesweites Stadionverbot rechtfertigt, spricht es dieser Verein für die ersten vier Ligen aus. Die Vereine haben sich untereinander bevollmächtigt. Es wird immer unterschieden zwischen dem Bezugsverein, also dem Verein, dem man angehört, und dem Verein, der das Stadionverbot ausspricht.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob ein Stadionverbot verhängt wird?

Die Richtlinie hat da relativ niedrige Voraussetzungen, da bereits das Einleiten einer Ermittlung genügt. Meine Aufgabe ist es nicht, zu prüfen, ob der Sachverhalt sich so zugetragen haben kann oder nicht, sondern ich muss fast immer davon ausgehen, was mir – meist durch die Polizei – übermittelt wird. Von daher liegt mein Spielraum im Prinzip nur noch auf der Seite der Dauer beziehungsweise der Frage, ob man das Verbot unter bestimmten Bedingungen aussetzt. Sollte ich erhebliche Zweifel am geschilderten Sachverhalt haben, kann ich aber auch das Stadionverbotsverfahren einstellen.

Auf welcher Grundlage wird das Stadionverbot umgesetzt?

Das Stadionverbot ist im Prinzip ein herkömmliches Hausverbot. Bei einem bundesweiten betrifft das aber alle Stadien und Hallen der Vereine der ersten drei Profiligen und der Regionalligen. Für Spiele der Nationalmannschaft gelten sie natürlich auch.

Wie sieht es derzeit in Babelsberg aus, gibt es aktuelle Stadionverbote?

Für Personen mit dem Bezugsverein Babelsberg gibt es zurzeit keine, auch nicht von anderen Vereinen ausgesprochene. Gegen Gästefans bei uns im Karl-Liebknecht-Stadion gibt es aber noch 21 laufende.

Gibt es für betroffene Fans die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern?

Bevor ein Stadionverbot ausgesprochen wird, wird dem Betroffenen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, bei Auswärtsfans meist schriftlich, den heimischen auch persönlich. Bei einem solchen Gespräch sind dann neben dem Fan der Sicherheits- sowie der Stadionverbotsbeauftragte und wenn gewünscht eine Vertrauensperson und das Fanprojekt dabei. Dann diskutiert man das Ganze gemeinsam. Dabei geht es vor allem darum, dass sich der Stadionverbotsbeauftragte ein möglichst umfassendes Bild zu der Person machen kann. Denn das Verbot soll ja keine reine Strafmaßnahme sein, sondern einen Denkanstoß geben und für die Zukunft präventiv wirken. Bei uns hat sich dieses Konzept bisher bewährt.

Haben Sie schon einmal ein Stadionverbot abgelehnt, obwohl es ein Ermittlungsverfahren gab?

Ja, solche Fälle gab es auch schon. Das ist meist, wenn es Zweifel an der Identitätsfeststellung gab. Aber das sind eher die Ausnahmen, weil die Polizei die Identität in der Regel sicher feststellen kann.

Ihr letztes verhängtes Stadionverbot, wie sah da der Sachverhalt aus?

Das war tatsächlich wegen Hitlergrüßen. Dabei ging es um die Partie gegen die Reservemannschaft von Hertha BSC in der vergangenen Saison. Aufgrund der Vorkommnisse bei diesem Spiel wurden insgesamt drei Stadionverbote ausgesprochen.

Hatten Sie schon einmal einen außergewöhnlichen Fall?

Erschreckend waren die Ereignisse beim Magdeburg-Spiel letztes Jahr, wo es einen massiven Platzsturm der Magdeburger gab. Wenn man sich die Bilder anguckt, fragt man sich bei den Gesichtsausdrücken, wo solche Aggressionen herkommen. Hier mussten dann auch fünf Stadionverbote verhängt werden, die alle – wie auch die Verbote nach dem Hertha-Spiel – bis zum Ende der Saison 2015/2016 laufen.

Sind Sie zufrieden, die Aufgabe des Stadionverbotsbeauftragten übernommen zu haben?

Ja, vor allem damit, dass es vergleichsweise wenig Arbeit gibt, dass es nur wenige Spiele gibt, bei denen es zu entsprechenden Vorfällen kommt. Seitdem ich den Posten innehabe, musste ich nur 22 Stadionverbote verhängen.

Was motiviert Sie, weiterzumachen?

Vor allem das Feedback, das man in den persönlichen Gesprächen zur Erteilung des Stadionverbots erhält. Und mein Anspruch, den Menschen möglichst gerecht zu werden. Und dass sich eine Kontinuität innerhalb der Vereinsstruktur einspielt und durch gegenseitig aufgebautes Vertrauen Missverständnisse schneller aus dem Weg geräumt werden können. Wenn der Stadionverbotsbeauftragte jedes Jahr wechselt, ist das nicht möglich.

Vereine der oberen vier Fußball-Ligen sind nach der Stadionverbotsrichtlinie des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) dazu verpflichtet, einen Stadionverbotsbeauftragten zu haben. Häufig übernimmt diese Aufgabe der Sicherheitsbeauftragte eines Vereins. Verbote können von wenigen Wochen bis zu drei Jahre reichen – je nach Schwere des Falles.

Der DFB führt eine zentrale Kartei, die zuständigen Polizeidirektionen werden informiert. Sofern ein Verstoß bemerkt wird, kann wegen Hausfriedensbruchs ermittelt werden. Fußball-Viertligist SV Babelsberg 03 hat gegen eigene Fans derzeit kein Stadionverbot verhängt, 21 bundesweite Verbote gegen Fans anderer Vereine sind derzeit wirksam. Deutschlandweit sind derzeit 2848 bundesweite Stadionverbote ausgesprochen. Wie viele dies im Nordosten (fünf neue Bundesländer plus Berlin) sind, konnte der DFB nicht sagen. Weiterhin gelten im Nordosten 26 regionale Stadionverbote für Regional- und Oberliga – es waren schon mal 220. Drittligist Energie Cottbus muss auf 25 Fans verzichten. Bei Frauenfußball-Bundesligist Turbine Potsdam gibt es übrigens keinen Stadionverbotsbeauftragten – weil es keine entsprechenden Verbote gibt. Bisher konnten alle aufgetretenen Probleme durch Androhung eines Verweises für den jeweiligen Spieltag behoben werden, teilte Geschäftsstellenleiter Stephan Schmidt auf Anfrage mit. rgz/ihö

Tobias Schmiegel (30) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am juristischen Lehrstuhl von SVB-Vizepräsident Götz Schulze. Seit Sommer 2013 ist er Stadionverbotsbeauftragter des SVB.

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