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Wasserscheu, aber keine Höhenangst. Extremkletterer Hans Kammerlander pfeift auf Sauerstoffflaschen beim Bergsteigen. Am Donnerstag ist er zu Gast im Lindenpark.

© picture-alliance/obs

Messner-Schüler Hans Kammerlander im Interview: „Man muss sich von allem befreien“

Extrembergsteiger und Messner-Schüler Hans Kammerlander berichtet in Potsdam über seine Abenteuer. Im Interview vorab spricht er über den Nervenkitzel in der Todeszone.

Stand:

Herr Kammerlander, Sie sind am Donnerstag mit Ihrem Filmvortrag „SevenSecondSummits – über Berge um die Welt“ im Lindenpark zu Gast. Der höchste Berg Potsdams, der Kleine Ravensberg, ist 114,2 Meter hoch. Sind Sie dafür ausgerüstet?

Ja, da nehme ich einfach eine Sauerstoffflasche mit, dann werde ich das schon irgendwie hinkriegen.

Sie sind aber als Extrembergsteiger eher Verfechter von sauberem Klettern. Sauerstoffflaschen kommen für Sie nicht infrage.

Nein, natürlich nicht. Die nehme ich nur, wenn ich tauchen gehe, aber nicht zum Bergsteigen. Ich will Höhenbergsteigen erleben, und das kann man nur, wenn man das ohne Sauerstoff macht. Man muss sich von allem befreien.

Sie klettern nicht nur, Sie tauchen auch?

Es macht schon Spaß, aber es ist auch eine große Herausforderung – ich habe nämlich Angst vor Wasser.

Dann werden Sie also eher nicht versuchen, extrem tief zu tauchen.

Nein. Aber mit oder ohne Sauerstoff am Berg, das sind für mich zwei verschiedene Paar Schuhe. Das ist so, als würde jemand bei einem Radrennen mit einem Motorrad mitfahren, so groß ist der Unterschied.

Hatten Sie immer ein Kamerateam dabei?

Ich habe einmal am K2 ein Kamerateam dabeigehabt, aber eigentlich filme ich seit vielen Jahren selbst, oder mit den Partnern. Es geht in den Filmen aber auch viel um die Kultur am Fuße der Berge. Das ist ein buntes Programm zwischen Wüste, dem K2, den Eisweiten der Antarktis.

Sie haben mal gesagt: „Unmöglich ist keine Tatsache, sondern eine Formulierung.“

Ich habe das 25 Jahre gemacht, immer am Limit, jetzt schaue ich mir aber mehr die Schönheit an. Ich war jeweils auf den zweithöchsten Bergen aller Kontinente, ganz einsame, schöne Berge, die aber auch schwieriger als die höchsten waren. Und da habe ich Kulturen erlebt und konnte frei sein.

Sie haben sich also bewusst nur die zweithöchsten ausgesucht, als Sie von 2008 bis 2012 unterwegs waren. Warum?

Das war alpinistisch spannend, weil das noch niemand gemacht hat. Und auf den höchsten waren überall inzwischen fast 300 Menschen, das sind ausgetrampelte Modeberge. Die zweithöchsten sind viel schwerer, der K2 etwa. Und das hat Spaß gemacht, etwa im Urwald in Neuguinea.

Kommen eigentlich auch Menschen mit Höhenangst zu Ihren Vorträgen?

Ach, an Höhenangst kann man sich gewöhnen. Ich habe als Bergführer viele Gäste gehabt, die meinten, Höhenangst zu haben. Da kann man viel machen, solange man es nicht übertreibt. Man muss den Menschen das Gefühl geben, dass ein Seil 3000 Kilo hält – wenn da jemand abstürzt, würde ich ja auch mit abstürzen, und darauf hätte ich gar keine Lust. Wenn jemand Sessellift fährt, dann ist er in einem gewissen Rahmen schon schwindelfrei.

Aber Sie erklimmen ja auch extreme Höhen, haben 13 der 14 existierenden Achttausender bestiegen. Einer fehlt aber noch.

Ja, der Manaslu, der ist eigentlich einer der leichtesten. Da war ich 1991, doch das Wetter wurde schlecht, und beim Abstieg sind meine beiden Kollegen verunglückt. In diese Gegend möchte ich nicht mehr zurückkehren.

Sie waren ja mit Ihren beiden Freunden Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher dort. Was ist passiert?

Großrubatscher ist vorausgegangen und in einem eigentlich leichten Gelände abgestürzt, wahrscheinlich ein Defekt am Steigeisen, er lag da und hat nur noch eines am Fuß gehabt. Vier Stunden später wurde Mutschlechner, das war damals mein engster Freund, ein paar Meter neben mir voll von einem Blitz getroffen.

Und Sie standen direkt daneben?

Ja, ich hatte aber nur eine verbrannte Hand. Aber es war fürchterlich, schlimmer kann es nicht kommen.

Und da haben Sie gesagt: „Auf diesen Berg steige ich nicht mehr.“

Das habe ich immer gedacht, aber inzwischen bezweifle ich, ob es gut war. Ich hatte schon den Gedanken, zu diesem Berg zurückzukehren, um das Thema abzuschließen. Im Nachhinein denke ich, dass ich hätte weitergehen sollen. Ein paar Jahre später ist ein Kollege beim Abseilen verunglückt, und ich habe diese Erstbegehung trotzdem beendet – und das war gut so. Der Berg hilft einem, solche schmerzhaften Rückschläge zu verarbeiten.

Ist das Ihre Strategie, Rückschläge in Motivationen umzubauen?

Einfach nur akzeptieren, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und den Weg nach vorne zu gehen.

Ist man sich dessen bewusst, dass es ein Spiel auf Leben und Tod sein kann, wenn man einen Berg besteigt?

Ab 7000 Metern Höhe gibt es eine sogenannte Todeszone, in der man an der Höhenkrankheit stirbt. Dass es ein hohes Restrisiko gibt, beweist auch die Geschichte. Von den Doppel-Bergsteigern sind fast drei Viertel nicht mehr zurückgekommen, wenn man 20 Jahre zurückschaut. Aber es ist auch alles sehr schnell geworden und sehr am Limit. Das macht es aber auch irgendwie reizvoll.

Es gibt ein Bild von Ihnen, wie Sie einen Kopfstand auf dem Gipfel des Kangchenjunga machen. Aber Sie machten auch die erste Skiabfahrt vom höchsten Berg der Welt, dem Mount Everest.

Ich habe seit meiner Kindheit zwei Hobbys: Klettern und Skifahren. Und diese Kombination habe ich ständig im Kopf gehabt. Meine intensivsten Stunden waren die Skiabfahrten vom Mount Everest und vom Nanga Parbat. Das war das Maximum: beide Hobbys auf den höchsten Bergen der Welt zu kombinieren.

Reinhold Messner hat Sie entdeckt und zum Höhenbergsteiger ausgebildet, mittlerweile gilt er als zerstritten mit seinen alten Weggefährten. Zählen Sie dazu?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin meinen Weg zurückhaltender als er gegangen, aber Messner war für mich ein gigantischer Lehrmeister. Es war unbezahlbar, jemanden wie ihn an meiner Seite zu haben, ich hatte ja keine Höhenerfahrungen. Und am Berg kann man sich keinen besseren Partner als ihn vorstellen, auch menschlich.

Haben Sie noch Kontakt?

Ja, klar.

Sie haben viele einflussreiche Menschen getroffen, etwa den Dalai Lama.

Der Dalai Lama ist der größte Mensch der Welt. Aber ganz toll war es auch, Edmund Hillary zu treffen, der Erstbesteiger vom Mount Everest. Das war eine richtige Persönlichkeit, der dem armen Völkchen in Nepal helfen wollte. Das finde ich sehr schön.

Sie engagieren sich auch seit vielen Jahren für soziale Projekte, besonders in Tibet.

Da haben wir gemeinsam mit Freunden aus Deutschland und Österreich 17 Schulen aufgebaut und zwei Kinderheime, auch eine Blindenschule. Das gibt einem mehr zurück, als man selbst gibt.

Das Gespräch führte Oliver Dietrich.

Hans Kammerlander: „SevenSecondSummits – über Berge um die Welt“, Donnerstag, 5. März, um 20 Uhr, Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76, 14482 Potsdam.

Oliver Dietrich

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